Interview

Der Bundesgesundheitsminister hat zahlreiche Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht oder angekündigt. Fast alle berühren die Interessen der Privaten Krankenversicherung. Wie sich der PKV-Verband in der Politik Gehör verschafft, erklärt die Referatsleiterin Gesundheitspolitik, Jenny Wernecke.

Jenny Wernecke, Referatsleiterin für Gesundheitspolitik im PKV-Verband

Mit welchem Ziel bringt sich der PKV-Verband eigentlich in den politischen Gesetzgebungsprozess ein? 

Als Branchenverband ist es unsere Kernaufgabe, die Interessen der Unternehmen der Privaten Krankenversicherung und der Privatversicherten im Gesetzgebungsprozess zu vertreten. Dafür beobachten wir die Vorhaben der Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern intensiv, formulieren Positionen und vermitteln diese den Abgeordneten und Ministerinnen und Ministern. So ist es in einer pluralistischen Demokratie üblich. 

Wie erfahren Sie, welche Gesetzesvorhaben geplant sind? Die zentrale Herausforderung ist es, das Gras wachsen zu hören. Idealerweise erfahren wir von politischen Vorhaben bereits, bevor dazu der erste Buchstabe aufgeschrieben wird. Das gelingt am besten durch Gespräche mit Entscheidungsträgern, aber natürlich auch aus der Beobachtung des politischen Prozesses allgemein oder über Kontakte mit anderen Stakeholdern. Zudem haben wir den Koalitionsvertrag analysiert und Schlussfolgerungen gezogen, welche Themen sich wie entwickeln könnten. Ist der Gesetzgebungsprozess bereits angelaufen, schauen wir uns zunächst die Arbeitsentwürfe an. Es folgen Referentenentwürfe, zu denen wir häufig in Verbändeanhörungen unsere Position schriftlich und mündlich offiziell dem Ministerium gegenüber formulieren. Später gibt es einen Kabinettsentwurf und das normale parlamentarische Verfahren. 

Wie erarbeiten Sie eine Stellungnahme? 

Eine Stellungnahme ist bei uns im Verband immer Teamarbeit. Die Expertinnen und Experten in den Fachabteilungen schauen sich die Regelungen an und prüfen, wie sie die Branche betreffen. Das spiegeln sie uns in die Politikabteilung zurück. Wir sind dafür zuständig, das Ganze in einen guten Zusammenhang zu bringen, die Argumentation konsistent zu machen, sie politisch einzuordnen und letztlich eine Stellungnahme daraus zu formen. 

Wie viel Zeit hat der Verband zwischen einer offiziellen Anfrage nach einer Stellungnahme und der Abgabefrist? 

Das kommt darauf an. Offiziell hatten wir gerade für die umfangreichen Vorhaben Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz und Krankenhausreform nur zwei Wochen Zeit. Allerdings hatten wir ja zuvor schon Einblick in die Regelungen. Insofern konnten wir die Fristen gut einhalten. Grundsätzlich fangen wir mit den Überlegungen immer sofort an, wenn wir von einem Vorhaben erfahren. Jede Menge Arbeit machen übrigens auch die Stellungnahmen, die wir am Ende nicht produzieren. Denn letztlich prüfen wir alles, was bei uns eingeht und Relevanz für die Branche haben könnte. Häufig haben sich schon sehr viele Menschen bei uns mit einem Thema beschäftigt, bevor wir zu dem Schluss kommen, dass wir uns dazu nicht offiziell positionieren müssen. 

Kommen Politiker mit ihren Anliegen aktiv auf Sie zu? 

Das ist sehr unterschiedlich. Oft kontaktieren uns Abgeordnete oder Mitarbeiter und fragen nach unserer Position oder Expertise. Teilweise geht es auch um die Recherche aktueller Daten zu allen möglichen Themen.

Gibt es Situationen, in denen jemand gar nicht mit dem Verband sprechen möchte? 

Das erleben wir zum Glück praktisch nicht. Wir suchen durchaus auch das Gespräch mit Menschen und Parteien, die uns politisch nicht wohlgesinnt sind. Auch da zeigen sich im direkten Kontakt oft gemeinsame Interessen. Heute sind wir in regelmäßigem Austausch mit allen demokratischen Parteien. 

Wie ist das gelungen? 

Wir stellen immer wieder unter Beweis, dass wir eine unverzichtbare Säule des Gesundheitssystems sind und Verantwortung für unsere fast 40 Millionen Voll- und Zusatzversicherten tragen. Nehmen wir zum Beispiel die private, aufsuchende Pflegeberatung Compass. Ein echtes Erfolgsmodell, das eine Vorbildwirkung für den Gesetzgeber und die gesetzlichen Kassen hatte. Oder das CaseManagement, das unsere Mitgliedsunternehmen Schritt für Schritt aufgebaut haben: Sie unterstützen Versicherte mit schweren oder chronischen Erkrankungen bei ihrer Behandlung. Das sind echte Vorzeigeprojekte zum Wohle der Patienten, die auch die Politik wertschätzt. Zudem untermauern wir unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung: zum Beispiel dadurch, dass die Privatversicherten das Gesundheitssystem überproportional mitfinanzieren, oder mit unserem umfassenden Präventionsengagement. Das sind sehr gute Anknüpfungspunkte, um mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Und natürlich zeigen wir, dass wir mit unserem System der Kapitaldeckung Teil der Lösung in unserer alternden Gesellschaft sind. Während die umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme zunehmend in finanzielle Bedrängnis geraten, sorgt bei uns jede Versichertengeneration selbst für sich vor. Diese Stabilität ist ein großer Wert angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels. 

Verfängt dieses Argument bei der Politik? 

Das muss man differenziert betrachten. Die Bedeutung von Zusatzversicherungen für die gesamtgesellschaftliche Vorsorge ist bei vielen Politikern mittlerweile angekommen – insbesondere im Bereich der betrieblichen Kranken- und Pflegeversicherung. Hier stoßen wir mit unseren guten Angeboten regelmäßig auf offene Ohren. Gleichzeitig ist das Bewusstsein dafür, dass das Umlagesystem an seine Grenzen stößt, noch nicht überall ausgeprägt. Da ist sicherlich auch ein Teil Ideologie dabei. Teilweise fordern dieselben Akteure gleichzeitig Kosteneinsparungen und Leistungsausweitungen. Da weiß ich nicht, wie das zusammenpasst. In dieser angespannten Lage sollte man doch erwarten, dass sich die politisch Verantwortlichen genau überlegen, was sie noch oben draufpacken und was vielleicht unverhältnismäßig teuer ist. Oder was die Beitragszahlenden überhaupt nicht finanzieren sollten. 

Haben Sie Beispiele aus der aktuellen Gesetzgebung? 

Da ist zum einen das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Aus dem derzeitigen Entwurf sind zwar einzelne kostenintensive Bereiche herausgefallen – wie etwa die Gesundheitskioske. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Diskussion darüber noch nicht beendet ist. Unser Interesse ist es, dass die vorhandenen Potenziale stärker genutzt werden statt neue Strukturen aufzubauen. Zum anderen gibt es noch das Großprojekt Krankenhausreform. Hier gibt es noch keine Auswirkungsanalyse, also keine seriöse Prognose, welche Kostenwirkung das nach sich ziehen wird. Das halte ich in der aktuellen Finanzierungssituation für fahrlässig. Insbesondere die Vorhaltevergütung in der geplanten Form setzt aus unserer Sicht massive Fehlanreize, wenn die Bezahlung sich nicht auf erbrachte Leistungen bezieht. 

Welche verabschiedeten Gesetze waren in jüngster Zeit wichtig für die PKV? 

Ganz klar das Digitalisierungsgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Beide haben für die PKV die Bedingungen geschaffen, dass unsere Versicherten digitale Anwendungen in der Telematikinfrastruktur nutzen können, darunter das E-Rezept und die elektronische Patientenakte. Wir haben uns auf allen Ebenen sehr intensiv eingebracht – als Gesellschafter innerhalb der Gematik, aber auch beim Bundesgesundheitsministerium. Allerdings muss da noch einiges passieren. 

Worauf spielen Sie an? 

Es geht um die Einführung der Krankenversichertennummer für Privatversicherte. Diese Nummer ist nicht nur für die Telematik-Anwendungen notwendig, sondern zum Beispiel auch für das Organspende- und Transplantationsregister. Bisher gibt es jedoch keine Regelung, dass die Unternehmen die Nummern automatisch und ohne explizite Einwilligung der Versicherten anlegen dürfen. Aus unserer Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum unsere Unternehmen alle Versicherten einzeln anschreiben müssen. Das ist ein gewaltiger Aufwand. Die Versicherer investieren gerade im Bereich der Digitalisierung sehr viel. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen. 

Schauen wir nach vorn: In diesem Jahr gibt es mehrere Landtagswahlen, 2025 steht die Bundestagswahl an. Welche Rolle wird die Gesundheitspolitik spielen? 

Ich denke, dass das Thema Ärztemangel bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern im Herbst angesichts der extrem angespannten Lage dort eine Rolle spielen könnte. Beim Bundestagswahlkampf ist eine Vorhersage schwierig. Die globalen Bedrohungen dominieren zwar die Debatte – gleichzeitig müssen wir mit steigenden Beiträgen in der Gesetzlichen Krankenversicherung und in der Sozialen Pflegeversicherung rechnen. Das könnte den Fokus durchaus wieder auf die Themen Gesundheit und Pflege richten. Wir sind auf alles eingestellt.