Meldung 23. Februar 2022

Dass das deutsche Gesundheitssystem zu den besten der Welt zählt, wird immer wieder durch Studien belegt. Doch was sagen die Praktiker? Wir haben mit deutschen Ärzten im Ausland gesprochen. Sie berichten von teilweise extrem langen Wartezeiten.

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Eine aktuelle Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) zeigt, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland im europäischen Vergleich den besten Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Dies gilt zum Beispiel für die vergleichsweise sehr kurzen Wartezeiten. Wir haben mit einigen Ärzten gesprochen, die in anderen europäischen Ländern praktizieren. Ihre Erfahrungen zeigen, wie wertvoll die gute medizinische Versorgung hierzulande für den Einzelnen ist. 

Dr. Jan Hoffmann ist Spezialist in der Kopf- und Gesichtsschmerz-Forschung. Derzeit arbeitet er in London und damit in einem einheitlichen und über Steuern finanziertem Gesundheitssystem. Doch: „Im echten Leben ist das System eigentlich furchtbar ungerecht, auch wenn es hier auf den ersten Blick alles ganz toll ist und Gleichheit herrscht. Aber wenn man genau hinschaut, ist es dann eben doch nicht gleich“, berichtet er. Gerade in der Pandemie hätte sich die ohnehin schon schlechte Situation bei den Wartezeiten weiter verschärft: „Wir haben Wartezeiten, die sich zwischen 7 und 12 Monaten bewegen. Das ist für jemanden, der chronische Schmerzen hat, eine Katastrophe“, sagt Hoffmann, der seine Facharztausbildung an der Berliner Charité gemacht hat.

Ärzte in Großbritannien können ihre Gebühren frei festlegen

Weil viele Patientinnen und Patienten im Gesundheitssystem nicht vorankämen, würden sie sich teilweise verschulden, um sich privat Termine zu organisieren. Dabei gebe es in Großbritannien keine Gebührenordnung, die die Preise der ärztlichen Behandlung regelt wie in Deutschland. „Da kann jeder seine Gebühr festlegen und der Patient kann entweder zahlen oder eben nicht – es ist wie im Wilden Westen.“

Von ähnlich langen Wartezeiten berichtet Dr. Tobias Wallbrecher, der seit 25 Jahren als Allgemeinarzt in Rom arbeitet. So habe im stationären Bereich zum Beispiel zwar jeder das Recht, kostenlos in der Notfallaufnahme gesehen zu werden. Allerdings gebe es dann so gut wie nie ein freies Bett in den Krankenhäusern: „Wenn man im Notfall-Raum ist und aufgenommen werden muss, dauert es zwei bis drei Tage bis man ein Bett bekommt." 

In Italien sind Arztpraxen oft nur 15 Stunden in der Woche besetzt

Im ambulanten Bereich gebe es für Ärztinnen Ärzte im staatlichen System lediglich die Verpflichtung, 15 Stunden pro Woche erreichbar zu sein. Viele Mediziner hätten neben ihrer Tätigkeit als Allgemeinärzte noch eine Stelle in einer privaten Praxis oder Klinik. „Dadurch ergibt sich, dass nicht alle Ärzte, wie man das aus Deutschland kennt, von Montag bis Freitag zur Verfügung stehen, sondern eigentlich nur zwei bis dreimal die Woche, drei, vier Stunden.“ 

Auch in Griechenland sind Wartezeiten im Gesundheitssystem ein großes Problem: Dr. Ulf Möbius arbeitet als Orthopäde in einer Privatklinik in Thessaloniki. Über das staatliche Gesundheitssystem sagt er: „Wenn sie dort eine Operation haben wollen, dann kommen Sie auf eine Liste und Ihnen wird nach zwei bis drei Jahren mitgeteilt, dass sie jetzt operiert werden können. 

Zum Vergleich: Laut WIP sind in Deutschland lediglich 0,1 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass ihre ärztliche Versorgung durch zu lange Wartezeiten gefährdet ist. Bei dieser Frage belegt unser Gesundheitssystem damit Platz 1 in Europa.