Meldung 11. September 2023

Die Krankenhausreform soll mehr Qualität und Transparenz in die stationäre Versorgung bringen und bedarfsnotwendige Standorte sichern. Doch in den geplanten Eckpunkten stecken Risiken für massive Fehlanreize.

Die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach soll den insolvenzgefährdeten Krankenhäusern eine Perspektive bieten. Eine sichere und bessere Behandlungsqualität, Entbürokratisierung und Versorgungssicherheit sind weitere zentrale Anliegen des Ministers. Diese Ziele würden mit den vorliegenden Eckpunkten für die Reform allerdings verfehlt, wie ein aktuelles Gutachten der Unternehmensberatung Oberender aufzeigt.

Gutachten

Die Autoren des Gutachtens um Prof. Dr. Andreas Schmid haben im Auftrag des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV) die Auswirkungen der Reform der Vergütung analysiert. Die Reform sieht vor, dass sogenannte Vorhaltebudgets das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) ersetzen. Sie sollen künftig 60 Prozent der Gesamtvergütung abdecken. Die Vorhaltefinanzierung soll den vielfach kritisierten Anreiz zu Mengenausweitung dadurch reduzieren, dass Zahlungen an die Krankenhäuser nicht für tatsächlich erbrachte Leistungen fließen, sondern sich am Vorhalten von Personal und Technik orientieren. Dadurch sollen auch die Bereiche ausreichend finanziert sein, die aufgrund des Versorgungsauftrags regional vorgehalten werden müssen, obwohl sie häufig nur defizitär betrieben werden können.

Vorhaltebudgets setzen neue Fehlanreize

Durch die geplante Vorhaltevergütung würden allerdings neue Fehlanreize und Steuerungsprobleme entstehen, schreiben die Gutachter. So bestehe die Gefahr, dass durch die Vorhaltefinanzierung Anreize zur Reduktion der Leistungsmenge entstehen, wodurch das Risiko für Unterversorgung und Wartelisten steigt. Insgesamt ergäben sich für die Krankenhäuser „zahlreiche neue Optionen, das System unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten und losgelöst vom Bedarf zu optimieren“.

Die derzeit skizzierte Form der Vorhaltevergütung lässt neue Fehlanreize und Steuerungsprobleme entstehen. Das Risiko von Fallvermeidung, Unterversorgung und Wartelisten erhöht sich.

Prof. Dr. Andreas Schmid

Wie diese Fehlanreize in der Praxis aussehen können, hat erst kürzlich Dr. Karin Overlack vom Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) am Universitätsklinikum der Ruhr Universität Bochum sehr anschaulich in einem Gastbeitrag beschrieben. Durch die Vorhaltefinanzierung würden die Krankenhäuser in besonderem Maße von „Fallvermeidung“ profitieren, warnt Overlack. Vor allem bei sachkostenintensiven Eingriffen seien Gewinne durch Nichtstun zu erwarten bzw. Verluste bei einer Steigerung der Fallzahl.

Kein Schutz für kritische Infrastruktur

Ob auch erhebliche Auswirkungen für die Kostenträger entstehen, hängt entscheidend davon ab, wie die Finanzierung der Vorhaltevergütung gestaltet wird, so die Gutachter. Werden hier falsche Weichen gestellt, würden Finanzmittel gebunden und Investitionen in die ambulante Versorgung sowie in Prävention belastet, wovon gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen gleichermaßen betroffen wären.

Die wirtschaftliche Sicherung von bedarfsnotwendigen aber unterfinanzierten Standorten würde durch die Umsetzung der Vorhaltevergütung trotzdem nicht erreicht, schlussfolgern die Gesundheitsökonomen von Oberender. Denn die Vorhaltefinanzierung löse nicht das Problem der unzureichenden Übernahme der Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer. „So lange die Bundesländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, wird auch trotz der Reform die strukturelle Unterfinanzierung des Krankenhaussektors fortbestehen“, heißt es im Gutachten. Hinzu kommt, dass die im Eckpunktepapier zugesagte Kostenneutralität der Reform unrealistisch erscheine. Es gebe zahlreiche Anhaltspunkte, dass die Umsetzung der Krankenhausreform nicht kostenneutral erfolgen könne.

PKV: Die wichtigsten Reformziele blieben auf der Strecke

Auch die PKV hält eine Krankenhausreform für nötig. Doch eine Vorhaltefinanzierung nach dem Motto ‚Geld ohne Leistung‘ birgt große Risiken. Es drohen massive Fehlanreize, wenn die Bezahlung sich nicht auf erbrachte Leistungen bezieht. Die Kliniken würden sich weniger am Bedarf der Patientinnen und Patienten ausrichten, sondern mehr an bürokratischen Verteilungskriterien. So blieben die wichtigsten Reformziele auf der Strecke: Qualität und Kosteneffizienz.

Florian Reuther, PKV-Verbandsdirektor

Eine leistungsbezogene und bürokratiearme Ausgestaltung der Vorhaltebudgets fordert auch der BKK-Dachverband. Die Verknüpfung der Vorhaltefinanzierung mit den Abrechnungen von Leistungsfällen würde stetige Zahlungsflüsse gewährleisten und damit eine stabile finanzielle Grundlage für die Krankenhäuser. Ähnlich lautet auch das Fazit von Prof. Dr. Andreas Schmid. Bei der Weiterentwicklung des Konzepts der Vorhaltefinanzierung sollte die Komplexität reduziert und das Risiko von Fehlanreizen minimiert werden. Aufgrund der möglichen Verwerfungen sollte ein behutsamer Einstieg in das neue Vergütungssystem erfolgen, so seine Empfehlung. „Um Fehlanreize zu verringern, sollten nicht – wie im aktuellen Eckpunktepapier skizziert – 60 Prozent der DRG als Vorhaltepauschalen ausgestaltet sein, sondern deutlich weniger.“