Eine höhere Versicherungspflichtgrenze löst nicht die strukturellen Probleme der GKV
Gravierende Folgen für die Gesetzliche Krankenversicherung hätte auch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung. Die Versicherungspflichtgrenze legt fest, bis zu welchem Einkommen sich Angestellte in der GKV versichern müssen. Ihre Höhe orientiert sich normalerweise an der Entwicklung der Lohn- und Gehaltsentwicklung. Erst wenn das Jahreseinkommen diese Grenze überschreitet, sind Angestellte frei und können in die Private Krankenversicherung (PKV) wechseln.
Die Versicherungspflichtgrenze wurde ursprünglich zur Absicherung sozial Schutzbedürftiger eingeführt. Diese Funktion ist heute überholt. Eine außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze fand zuletzt 2003 statt. Der Gesetzgeber verfolgte damit das Ziel, den versicherungspflichtigen Personenkreis in der GKV auszudehnen und dadurch kurzfristig zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Mittlerweile liegt die Versicherungspflichtgrenze bei 64.350 Euro Bruttoentgelt im Jahr – das 1,7-fache des Durchschnittseinkommens (2022: 38.901 Euro). Eine Anhebung auf 84.600 Euro würde mehr als das Doppelte des Durchschnitteinkommens bedeuten.
Im demografischen Wandel kann die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze jedoch nicht die Antwort auf die strukturellen Probleme der GKV sein – sie würde im Gegenteil die demografischen Probleme der GKV sogar noch verschärfen. Mittelfristig würden mit der Alterung des erweiterten Kreises von Versicherungspflichtigen die Leistungsausgaben stark steigen. Dafür gibt es in der GKV keine Vorsorge, sodass diese altersbedingt steigenden Kosten vor allem zu Lasten der künftigen Beitrags- und Steuerzahler gingen. Im langfristigen finanziellen Eigeninteresse der GKV wäre es besser, mehr Wahlfreiheiten an der Systemgrenze zu ermöglichen anstatt weniger. Denn jeder Wechsler von der GKV in die PKV wird bis zum Zeitpunkt des Wechsels mehr in die GKV eingezahlt haben, als er bis dahin an Leistungen in Anspruch genommen hat. Die ausgabenintensiveren Jahre der zweiten Lebenshälfte würden diese Versicherten aber dann in der PKV verbringen, wo sie eine entsprechende finanzielle Vorsorge mit den PKV-typischen Alterungsrückstellungen aufbauen würden.
Eine erneute außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze würde die finanziellen Aussichten der GKV dagegen allenfalls kurzfristig verbessern. Dafür müsste sie jedoch einen hohen Preis zahlen. Denn in der PKV werden die Behandlungskosten ohne Budgetgrenzen erstattet und für viele medizinische Leistungen auch höhere Honorare gezahlt. So entsteht in der Gesundheitsversorgung ein echter Mehrumsatz von jährlich 11,5 Milliarden Euro, der allen zugutekommt: auch den gesetzlich Versicherten. Durch die höhere Versicherungspflichtgrenze würde der überproportionale Finanzierungsbeitrag zum Gesundheitswesen schrittweise entfallen – auf Kosten der GKV und der Qualität der Gesundheitsversorgung.
Die außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf 84.600 Euro würde den Markt im Bereich der Arbeitnehmer für die PKV faktisch schließen. Nur die wenigsten Angestellten zwischen 30 und 40 Jahren erreichen eine entsprechende Einkommenshöhe. Für Angestellte gebe es dann praktisch keine Möglichkeit mehr, sich im System der PKV zu versichern. Wahlfreiheit und Wettbewerb zwischen GKV und PKV um Angestellte würden zu Gunsten einer „Bürgerversicherung für Angestellte“ beseitigt. Den Schaden hätte das gesamte Gesundheitssystem, denn dieser Wettbewerb trägt maßgeblich zur hohen Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland bei.