Meldung 08. Januar 2025

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, spricht über die Bedeutung der ambulantene Versorgung, die Finanzierung unseres Gesundheitssystems – und seine Erwartungen an eine neue Bundesregierung.

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Herr Dr. Gassen, Sie vertreten die Interessen von rund 185.000 ambulant tätigen Ärzten und Psychotherapeuten. Wie beurteilen Sie die Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland?

Ich glaube, insgesamt ist sie noch gut – auch wenn man mit Blick auf Berichte aus Krankenhäusern sieht, dass der Personalmangel dort voll durchschlägt und Schichtbesetzungen schwierig sind. Den Personalmangel spüren wir in den Praxen auch. Das ist ein Problem, was alle haben. Wir sind also an einer Weggabelung: Die Versorgung ist jetzt noch in der Situation, wo man sie erhalten und vielleicht perspektivisch etwas verbessern kann. Aber wenn jetzt nicht die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden, wird sich das sehr deutlich in die Negativ-Richtung entwickeln.

Was wünschen Sie sich von der Politik ganz konkret?

Als Körperschaft wünschen wir uns natürlich eine gewisse Beinfreiheit, um entsprechende Regelungen zu treffen, die der Versorgung dienen. Wir wünschen uns auch, dass der Stellenwert der ambulanten Versorgung von der Politik endlich anerkannt und auch in der Gesetzgebung berücksichtigt wird. Denn es ist ja so, dass der Großteil der Versorgung jetzt schon ambulant erbracht wird. Das heißt, der Teil der Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, wird tendenziell immer kleiner.

Welche Rolle spielen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für die Qualität unserer Gesundheitsversorgung?

Sie sind das Rückgrat unserer Gesundheitsversorgung. Das kann man ohne Frage sagen. Und das, was Praxen leisten, ist auch nicht mehr mit dem zu vergleichen, was Praxen vor 30 Jahren geleistet haben. Wir sehen Hochleistungsmedizin im ambulanten Bereich, in Praxen, Gemeinschaftspraxen oder auch MVZs. Das ist auch ein Abbild der zunehmenden Ambulantisierung. Nehmen Sie Operationen oder komplizierte Prozeduren, die früher nur im Krankenhaus denkbar waren. Das ist heute alltägliche Praxis.

Wir haben einen extrem niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitswesen – für alle Versicherten.

Dr. Andreas Gassen , KBV-Vorstand

Das deutsche Gesundheitswesen bietet im internationalen Vergleich hohe Freiheitsgrade. Wie beurteilen Sie den Stellenwert der Wahlfreiheit der Patientinnen und Patienten einerseits und der Therapiefreiheit der Ärztinnen und Ärzte?

Die Wahlfreiheit der Patienten ist natürlich ein hohes Gut. Insofern ist es ein großer Wert des deutschen Gesundheitswesens, dass es nicht nur die Wahlfreiheit gibt, sondern dass wir einen extrem niedrigschwelligen Zugang haben – und zwar für alle. Ich glaube, dass wir den Patienten nicht nur Freiheit bei der Wahl der behandelnden Ärztin und des behandelnden Arztes eröffnen sollten, sondern dass man ihnen auch in der Tarifgestaltung mehr Optionen eröffnen sollte.

Welchen Stellenwert hat die Dualität aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung für die Qualität des Gesundheitssystems?

Die Innovationsgeschwindigkeit ist in der PKV natürlich höher. In der Gesetzlichen Krankenversicherung haben wir ja ein etwas aufwendiges Verfahren, bis Leistungen tatsächlich den gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen. Das hat den Vorteil, dass diese Leistungen dann wirklich erprobt, qualitätsgesichert und wirksam sind. Aber die schnellere Einführung von Innovationen ist auch ein Stimulus, keine Frage. Insofern ist die Dualität grundsätzlich sinnvoll.

Und welche Bedeutung hat die Private Krankenversicherung für die Finanzierung und Ausstattung der Praxen?

Das ist extrem unterschiedlich. Und es ist im Wesentlichen durch den Standort der Praxis determiniert. Wenn Sie in einer deutschen Metropolregion sind, ist sicherlich der Anteil der Privatpatienten relevant – auch wenn der Konkurrenzkampf um Privatpatienten in den Großstädten größer ist. Wenn Sie eine große Versorgerpraxis in einem eher strukturschwachen Gebiet haben, ist das hingegen relativ irrelevant. Der Deckungsbeitrag, den die privatversicherten Patienten zu den Praxen beitragen, ist also regional höchst unterschiedlich.


Interview-Serie „Starke Stimmen - starkes Gesundheitssystem"

Wir fragen Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nach den aktuellen Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems und möglichen Lösungen.

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Die GKV-Finanzen sind zunehmend unter Druck; wir erleben Diskussionen um Leistungskürzungen oder Beitragssteigerungen. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Wenn medizinischer Fortschritt kostenintensive Therapien ermöglicht, dann darf grundsätzlich eine Beitragserhöhung kein Tabuthema sein – wenn man nicht die Frage stellen will, wer diese Therapien nutzen darf. Aber eine Quali-Diskussion wie in Großbritannien wollen wir ja eigentlich nicht haben. Andererseits glaube ich, dass wir Effizienzreserven haben, zum Beispiel dadurch, dass man Patienten in Form von Wahltarifen verschiedene Steuerungsgrade anbietet. So könnten Doppeluntersuchungen oder aufwendige Medikationen vermieden werden. Aber ich glaube, man muss sich vor dem Gedanken hüten, dass Medizin beliebig rationalisierbar und ökonomisierbar ist und dadurch billiger würde.

Welchen Stellenwert hat die Gesundheitsversorgung für die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger?

Sie hat eine enorm hohe Bedeutung. Unsere Umfragen haben gezeigt, dass sie für 90 Prozent der Menschen wichtig ist. Das finde ich schon einen bemerkenswerten Wert – weil ja ein Großteil der Bevölkerung sehr jung ist und mit Gesundheit eigentlich kein Thema hat. Gesundheit ist ähnlich wie Bildung und Innere Sicherheit ein Thema, das die Menschen bewegt. Und wir haben tatsächlich festgestellt, dass ein Großteil der Menschen, die wir befragt haben, die Gesundheitsversorgung für so wichtig erachtet, dass sie den Ausschlag für eine politische Wahlentscheidung gibt.

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