Meldung 22. Januar 2025

Als mögliche Antwort auf die finanzielle Schieflage der umlagefinanzierten gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung wird die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze diskutiert. IW-Experte Dr. Jochen Pimpertz warnt vor den Folgen für den Wirtschaftsstandort und die öffentlichen Haushalte.

Zum Jahreswechsel haben die Beitragssätze der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen historische Höchststände erreicht. Die Kassen schreiben rote Zahlen, dabei stehen die großen demografischen Herausforderungen für die Umlagefinanzierung mit dem Renteneintritt der Babyboomer erst noch bevor. SPD und Grüne plädieren daher für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Welche zusätzlichen Belastungen durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze auf die Beitragszahler und die öffentlichen Haushalte zukommen würden, haben wir Dr. Jochen Pimpertz gefragt. Er leitet das Kompetenzfeld Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

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Herr Dr. Pimpertz, die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen verzeichnen hohe Defizite. Auf der Suche nach neuen Finanzierungsquellen plädieren einige für die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung. Welche Auswirkungen hätte eine solche Entscheidung?

Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung ist eine Idee, um bei gleichbleibenden Beitragssätzen durch eine stärkere Belastung der höher verdienenden Arbeitnehmer zusätzliche Beitragseinnahmen zu generieren, in der Hoffnung, dadurch den Beitragssatz stabilisieren zu können. Dies hätte jedoch gravierende Folgen.

Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze bei konstantem Beitragssatz würde auf den ersten Blick fast 23 Milliarden in die Kassen spülen. Auf den ersten Blick gut, auf den zweiten nicht. Denn gut 11 Milliarden Euro würden die Unternehmen stark belasten. Betroffen wären vor allem Unternehmen mit einem hohen Anteil von Beschäftigten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Sie müssen die höheren Abgaben mit ihrer Wirtschaftsleistung erwirtschaften, sonst können sie die Beschäftigung nicht mehr halten.

Das heißt, die Beschäftigung von Hochqualifizierten würde teurer. Die brauchen wir aber für den Umbau der Wirtschaft. Gleichzeitig würden diese Arbeitnehmer durch die höheren Arbeitnehmerbeiträge stärker belastet und hätten netto weniger in der Tasche. Und das führt zu einer gravierenden Belastung genau der Arbeitsverhältnisse, von denen wir uns erhoffen, dass sie uns in der Transformation die technologischen Sprünge ermöglichen, die uns dann im internationalen Umfeld wieder wettbewerbsfähig machen.

Die Wirtschaftszentren in Deutschland sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern es gibt regionale Schwerpunkte. Gibt es Regionen, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze besonders betroffen wären?

Tatsächlich kann man das nur über den Daumen peilen. Und wir stellen fest, dass es offensichtlich in den Regionen Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern besonders viele Menschen gibt, die hochproduktiv arbeiten und oberhalb der bisherigen Beitragsbemessungsgrenze verdienen. In diesen Regionen würden besonders hohe Beitragsbelastungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer anfallen, wollte man die Beitragsbemessungsgrenze anheben.

Auch in anderen Bundesländern gibt es durchaus relevante Belastungen, insbesondere für die dort ansässigen Unternehmen. In Hessen, Niedersachsen, Bremen oder Schleswig-Holstein sowie in Hamburg sind die Folgen für die dort ansässigen Unternehmen gravierend. Aufgrund der geringeren Bevölkerungszahl fallen sie im Bundesdurchschnitt jedoch weniger stark ins Gewicht.

Auch im Bundeshaushalt klafft ein Milliardenloch. Das hat auch unter anderem zum Ende der Bundesregierung geführt. Welche Auswirkungen hätte denn die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für den Staatshaushalt?

Das wird bislang von den Befürwortern einer höheren Bemessungsgrenze sorgfältig ausgeklammert. Tatsächlich säßen Bundes- und Landesfinanzministerien ebenso wie die Stadtkämmerer mit im Boot. Der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung schlägt unmittelbar in die Kosten der Unternehmen ein, während der Arbeitnehmerbeitrag bei der Steuerberechnung der Lohn- und Einkommenssteuer berücksichtigt wird. Es handelt sich um Zwangsbeiträge, die nicht noch zusätzlich besteuert werden dürfen. Sie profitieren von der niedrigeren Lohn- und Einkommensteuerpflicht. Dadurch fehlen fast 5 Milliarden Euro, die sich zu gut 40 Prozent auf den Bund, zu gut 40 Prozent auf die Länder und der Rest auf die Kommunen verteilen. Mit anderen Worten: Die Landesminister in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen wären am stärksten betroffen und müssten mit erheblichen Verlusten oder Mindereinnahmen in ihren jeweiligen Haushalten rechnen.

Die GKV bewegt sich im dualen Gesundheitssystem im Wettbewerb mit der PKV. Müsste die Politik nicht damit rechnen, dass die Versicherten bei einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in die Private Krankenversicherung wechseln und damit als Beitragszahler in der Gesetzlichen Krankenversicherung entfallen.

Ich halte vor allen Dingen umgekehrt die Frage für relevant, ob sich dadurch die Situation für die Gesetzliche Krankenversicherung wesentlich verbessern würde. Die kurzfristigen Mehreinnahmen hängen am seidenen Faden, weil, wie gesagt, die Arbeitskosten steigen würden und damit am Ende des Tages die Beschäftigung derer oder die Arbeitsplätze derer, die besonders leistungsfähig sind, hier in Deutschland zunehmend unattraktiver werden.

Und in den umlagefinanzierten Sicherungssystemen GKV und Pflegeversicherung hängt die Finanzierung der Leistungsversprechen entscheidend davon ab, dass wir hier in Deutschland sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufbauen und deren Einkommen auch in Zukunft sichern können.

Interview-Serie „Starke Stimmen - starkes Gesundheitssystem"

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