Meldung 11. Februar 2025

Deutsche Unternehmen leiden unter hohen Lohnzusatzkosten. Zu den Treibern zählen die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, fordert Einsparungen statt immer neue Leistungsversprechen von der Politik.

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Herr Professor Hüther, nach Belgien hat Deutschland im internationalen Vergleich die höchsten Lohnzusatzkosten. Sie weisen darauf hin, dass dies Gift für den Wirtschaftsstandort sei. Was ist hier also zu tun?

Hinter dieser Dynamik der Sozialbeiträge stehen zum einen eine Fehlsteuerung und Fehlanreize in den Bereichen der sozialen Sicherung: der Krankenversicherung, der Pflege, der Rente. Die Anreize für die Ausgaben, aber auch die Logik der Einnahmengestaltung überzeugen nicht wirklich. Zweitens führt die demografische Alterung dazu, dass wir sukzessive, und jetzt mit großen Schritten, weniger Erwerbspersonen in Relation zu Rentnerinnen und Rentnern haben. Im späteren Lebensabschnitt, vor allem in der Hochaltrigkeit, kommen ja nicht nur Rentenausgaben, die sich verstetigen, sondern auch Kosten für Gesundheit und Pflege, die besonders an das Alter gekoppelt sind. Insofern führt beides – die Funktionsprobleme und die demografische Alterung – zu diesem Kostenantrieb.

Welche Stellschrauben müsste die Politik jetzt drehen?

Es sind zwei große Bereiche, in denen Politik handeln kann und muss. Einmal die Mobilisierung von Erwerbstätigkeit: Natürlich ist die gesteuerte Zuwanderung richtig und wichtig. Seit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vor knapp fünf Jahren ist die gesteuerte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt jünger, weiblicher, besser gebildet, mit höherer Sprachkompetenz. Darüber hinaus müssen wir auch die Arbeitszeiten ins Visier nehmen. Wenn bei uns Vollzeiterwerbstätige 249 Stunden im Jahr weniger arbeiten als in der Schweiz, ist das jedenfalls zu überlegen. Der zweite große Block sind Themen in der Sozialversicherung. Der Kostenblock Krankheit und Gesundheit ist besonders auffällig. Wir haben mit die höchsten Gesundheitskosten auch im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung – sind aber nicht wirklich gesünder oder haben eine höhere Lebenserwartung. Da gibt es also viel Fehlsteuerung. Der Krankenhausbereich ist auch nach den gesetzlichen Reformen weiter reformbedürftig. So müssen wir die einzelnen Segmente durchgehen. Es können auch keine neuen Leistungen wie die Mütterrente eingebaut werden. Das verträgt das System nicht.

Erhöht man die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung, fehlen Steuereinnahmen. Das mindert Investitionen.

Prof. Dr. Michael Hüther , Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft

Einige politische Parteien fordern, die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung anzuheben. Welche Folgen hätte das?

Zunächst einmal würde eine Gruppe ganz besonders belastet: nämlich die, die höhere Arbeitseinkommen zwischen der jetzigen Bemessungsgrenze und der dann relevanten Bemessungsgrenze erzielt. Das heißt, da werden Menschen höher belastet, ohne dass sie eine höhere Leistung haben. Warum gerade diese Gruppe, ist mal die erste Frage. Und zweitens führte das natürlich dazu, dass die höheren Pflichtbeiträge die Steuerbasis mindern. Es handelt sich ja um Sonderausgaben im Bereich der Einkommensteuer. Und wenn man das macht, fehlen den Gebietskörperschaften etwa 4,6 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Auch damit muss man umgehen.

Was heißt das für die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand?

Wir haben ohnehin ein Riesenproblem bei den Investitionen. Die öffentlichen Investitionen sind seit Langem sehr viel niedriger als im Schnitt Europas. Das zeigt sich jetzt an den Umkipp-Effekten und der dramatisch schlechten Situation im Bereich der Bahn, des Autobahnnetzes, der Bundeswasserstraßen, der kommunalen Straßen und der Landesstraßen. Da muss beantwortet werden. Wenn wir jetzt noch zusätzlich die Einnahmenbasis verkürzen, wird das Problem noch verschärft.

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Leistungsausweitungen für die Kranken- und für die Pflegeversicherung beschlossen, die zu  Kostenschüben geführt haben. Müsste jetzt doch gespart werden – auch wenn der Bundeskanzler und der Bundesgesundheitsminister Leistungskürzungen bisher ausschließen?

Wenn man die Geschichte der letzten 50 Jahre anschaut, haben wir immer wieder in Schüben in die Leistungsbemessung, in die Leistungsausgestaltung der Sozialversicherungen eingegriffen. Es sind Dinge zurückgenommen worden, man hat beispielsweise in der Gesetzlichen Krankenversicherung versucht, ein Kostendämpfungsprogramm zu machen. Das ist immer wieder für Jahre erfolgreich gewesen. Aber nach fünf, sechs, sieben Jahren musste man wieder ran. Das ist ein Teil der Leidensgeschichte des politischen Handelns, weil es nie nachhaltig wirkt. Aber dass wir hier an die Ausgaben ranmüssen und die Kosten dämpfen müssen, das kann keine Frage sein. Das ist selbstverständlich.


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Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Herausforderungen und Lösungen für das Gesundheitssystem

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