Die Gesundheitsminister der Länder haben sich für den regelhaften Einsatz digitaler Begutachtungsformate in der Pflegeversicherung ausgesprochen. Sie begründen ihren Beschluss mit den positiven Erfahrungen während der Corona-Pandemie. In den vergangenen drei Jahren hatte das Infektionsgeschehen die gesetzlich eigentlich vorgesehene Begutachtung bei den Versicherten daheim stark beeinträchtigt. Als Alternative zu den Hausbesuchen durften die medizinischen Dienste der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung auf Telefon- und Videointerviews ausweichen.
In der Corona-Pandemie hat sich die Begutachtung mittels digitaler Formate bewährt. Angesichts der stark steigenden Zahl von Pflegebedürftigen sowie des Fachkräftemangels sprechen sich Landesregierungen und Verbände für eine dauerhafte Lösung aus.
Erfolgreicher Mix aus Hausbesuch und digitaler Begutachtung
Die teilweise Umstellung auf die digitale Pflege-Begutachtung ist ein Erfolg. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat alleine der medizinische Dienst der Privaten, Medicproof, knapp 400.000 Gutachten per Telefon- und Videointerview erstellt. Dies bietet laut Medicproof zahlreiche Vorteile für alle Beteiligten: So können Versicherte einfacher erreicht und Begutachtungstermine flexibler vereinbart werden. Für die Gutachter entfallen Anfahrtszeiten, die sie effizienter für Begutachtungen nutzen. Und der Begutachtung können auch entfernt lebende Angehörige sowie Betreuerinnen und Betreuer ohne zeitaufwendige Reisewege beiwohnen.
Demografischer Wandel erfordert digitale Lösungen
Die erzwungene Digitalisierung der Pflege-Begutachtung durch die Pandemie kam zur richtigen Zeit. Denn der demografische Wandel setzt die medizinischen Dienste zunehmend unter Druck. In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen und damit das Auftragsaufkommen bei den medizinischen Diensten kontinuierlich gestiegen. 267.897 Gutachten hat Medicproof im vergangenen Jahr erstellt – so viele wie nie zuvor. Die aktuelle Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamts (Destatis) sagt einen weiteren Anstieg der Pflegebedürftigen von bis zu 27 Prozent von heute 5 Millionen auf 6,3 Millionen im Jahr 2035 voraus. Gleichzeitig verschärft der demografische Wandel den Fachkräftemangel in der Pflege.
Angesicht dieser Herausforderungen sieht die Gesundheitsministerkonferenz in den digitalen Formaten die Möglichkeit, eine „unverzügliche und zuverlässige Begutachtung“ auch weiterhin sicherzustellen und dabei den angespannten Arbeitsmarkt bei den Pflegekräften und die medizinischen Dienste zu entlasten. Die Konferenz fordert deshalb, die digitalen Begutachtungsformate als Regelleistung bei Folgebegutachtungen schon jetzt im aktuellen Gesetzgebungsverfahren des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) zu berücksichtigen.
PKV-Verband und Medicproof für digitale Begutachtung
Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz steht im Einklang mit den Positionen der medizinischen Dienste und ihrer Verbände. Der PKV-Verband plädiert in seiner Stellungnahme zum PUEG dafür, bei der Einführung der Begutachtungen über Telefoninterviews oder per Video keine Zeit zu verlieren. Auch die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Carola Engler, sieht dringenden Handlungsbedarf: „Damit die Versicherten eine qualitativ hochwertige und zeitgerechte Begutachtung erhalten, muss das strukturierte Telefoninterview sofort wieder eingeführt werden“, heißt es in der Stellungnahme.
Bislang will das Bundesgesundheitsministerium nur „Modellvorhaben zu telefonischer/digitaler Kommunikation bei der Begutachtung“ fördern. Dabei liegen schon heute umfangreiche Erkenntnisse zu den digitalen Begutachtungsformaten vor, erklärt Medicproof in seiner Stellungnahme zum PUEG. Das Modellvorhaben sei deshalb nicht mehr notwendig. Zahlreiche Analysen der Begutachtungsergebnisse belegen fachlich und inhaltlich nahezu gleichwertige Ergebnisse im Vergleich zur persönlichen Untersuchung im Wohnbereich – hinsichtlich Pflegegradeinstufung, Bewertung der Versorgungssituation sowie der gutachterlichen Empfehlungen.