Die deutsche Wirtschaft bleibt auch 2024 in der Rezession. Gleichzeitig steigen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und belasten Unternehmen und Arbeitnehmer spürbar. Arbeitgeberverbände fordern, die Obergrenze von 40 Prozent bei den Sozialabgaben wieder einzuhalten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Im Interview spricht Dr. Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung, beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), über die Perspektiven für die Unternehmen und warnt vor den Gefahren steigender Lohnzusatzkosten.
Deutschland zählt schon heute international zu den Ländern mit den höchsten Sozialabgaben. Dabei stehen die großen Herausforderungen des demografischen Wandels erst noch bevor. Wie sehr die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft darunter leidet, erläutert IW-Experte Dr. Jochen Pimpertz.
Die deutsche Wirtschaft schrumpft Im zweiten Jahr in Folge. Wie kann die Politik jetzt gegensteuern und wieder für Wachstum sorgen?
Tatsächlich stehen die unternehmerische Wirtschaft aber auch die öffentliche Infrastruktur vor Herausforderungen, die es in dieser Form in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Wir sind dabei, unsere Wirtschaft im Zuge der Dekarbonisierung auf ein anderes technologisches Grundmodell umzustellen. Das kostet viel Kraft.
Die Digitalisierung erfordert unternehmerische Entscheidungen und Anpassungen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Hinzu kommt ein verändertes geopolitisches Umfeld. Wir müssen Produktions- und Handelsverflechtungen neu organisieren, die sich nicht ohne weiteres auf demselben Effizienzniveau wie gewohnt darstellen lassen. Die Herausforderungen werden nicht weniger, weil die öffentliche Infrastruktur jahrelang vernachlässigt wurde und ein hoher Investitionsbedarf besteht, um sie für eine funktionierende Gesellschaft wieder flott zu machen.
Und zu guter Letzt schlägt jetzt die Demografie zu. Die ersten geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Den Babyboomern folgen aber nur noch geburtenschwächere Jahrgänge. Das bedeutet, dass uns immer weniger Arbeitskräfte und Fachkräfte zur Verfügung stehen, um den Wohlstand zu erwirtschaften, den wir bisher gewohnt waren.
Zum Jahreswechsel sind die Beiträge der Kranken und Pflegeversicherung deutlich gestiegen. Das betrifft auch die Lohnzusatzkosten. Welche Folgen hat das für die Unternehmen?
Unmittelbar steigen dadurch die Arbeitskosten in den Unternehmen. Die Bruttolöhne sind zwar kurzfristig fix, aber die Arbeitgeber zahlen zusätzlich die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge. Steigen also die Beitragssätze, erhöhen sich die Arbeitskosten für die Unternehmen. Gleichzeitig spüren die Arbeitnehmer die Auswirkungen, weil sie weniger Netto vom Brutto im Portemonnaie haben.
Dabei wird es aber nicht bleiben. Bei einem immer knapper werdenden Arbeitskräfteangebot werden vor allem die Hochqualifizierten und die gut organisierten Arbeitnehmer in den nächsten Tarifrunden mit größerer Wahrscheinlichkeit ihr bisheriges Nettolohnniveau gegenüber den Arbeitgebern durchsetzen. Damit wird der Faktor Arbeit in Deutschland perspektivisch stärker belastet.
Das IGES-Institut hat im Sommer 2024 für die DAK-Gesundheit berechnet, wie sich die Beitragssätze zur Sozialversicherung möglicherweise entwickeln werden. Und was wir jetzt zum Jahreswechsel erleben, scheint der Beginn einer längeren und durchaus dramatisch zu nennenden Entwicklung zu sein.
Sie sprechen die große Herausforderung des demografischen Wandels an. Die Bevölkerung in Deutschland altert rasant. Was kommt da genau auf die Sozialversicherungen zu?
In allen Zweigen der Sozialversicherung zeigt sich das gleiche Bild. Die geburtenstarken Jahrgänge wechseln von der Beitragszahlung in den Leistungsbezug. Immer mehr Rentner müssen von immer weniger Beitragszahlern alimentiert werden. Aber auch in der umlagefinanzierten Kranken- und Pflegeversicherung steigen die Leistungsausgaben mit zunehmendem Alter, während die beitragspflichtigen Einkommen der Rentner im Vergleich zur Erwerbsphase niedrig sind. Auch hier wird der Finanzierungsbedarf deutlich steigen und höhere Beiträge erfordern.
Wir liegen heute bei einem Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 42 Prozent. Die Kollegen vom IGES-Institut rechnen bereits bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode mit einem weiteren Anstieg auf 45,5 Prozent und in zehn Jahren mit einer Beitragssatzsumme von 48,5 Prozent. Dies ist vor allem auf die demografische Entwicklung zurückzuführen.
Können Sie uns eine Einordnung geben? Wo steht Deutschland bei den Sozialabgaben im internationalen Vergleich?
Dazu gibt es eine viel zitierte Studie der OECD. Wir sind nämlich nach Belgien das Land, das den Faktor Arbeit mit den höchsten Abgaben, Steuern und Sozialabgaben belastet. Und solange die Arbeitnehmer nicht akzeptieren, dass steigende Abgabenbelastungen zu einem sinkenden Nettolohnniveau führen, sondern zumindest konstante Nettolöhne erwarten, solange belasten höhere Abgaben auf den Faktor Arbeit auch die Arbeitskosten und damit die Beschäftigungsperspektiven am Standort.
Anders als die Gesetzliche Krankenversicherung arbeitet die Private Krankenversicherung mit einem kapitalgedeckten Finanzierungssystem. Ist die PKV mit der Kapitaldeckung besser auf den demografischen Wandel vorbereitet?
Andersherum würde ich sagen: Das Modell der PKV schafft es im Anwartschaftsdeckungsverfahren, dass jede Alterskohorte für ihre altersbedingt steigenden Ausgaben Rücklagen bildet und nicht wie im Umlageverfahren die zukünftig anfallenden Ausgaben von den jungen Beitragszahlern finanziert bekommt. Das Umlageverfahren in der GKV führt dazu, dass in zehn oder zwanzig Jahren immer mehr ältere Menschen zusätzliche Finanzierungserfordernisse auf die erwerbstätige Bevölkerung, also die jungen Beitragszahler, abwälzen. Das nennen wir intergenerative Lastverschiebung und das ist im PKV-Modell ausgeschlossen. Und deshalb bietet die PKV vor allem eine Antwort auf die intergenerative Lastverschiebung: Sie führt in einer alternden Bevölkerung nicht zu einer latent steigenden Belastung der Jungen.