Meldung 23. Oktober 2023

Auf Einladung des PKV-Verbands haben Mitte Oktober in Berlin Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und von regionalen Gesundheitsnetzen über die Zukunft der Gesundheitsversorgung und Pflege in strukturschwachen Regionen diskutiert.

Michael Weller, Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG)

Die Bundesregierung hatte zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt, die regionale Gesundheitsversorgung stärken zu wollen. Bislang lassen die Gesetzesentwürfe aber noch auf sich warten. Zunächst müsse sich die Ampelkoalition auf den Bundeshaushalt 2024 verständigen, erklärte Michael Weller, Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), beim PKV-Fachgespräch die Verzögerung.

Gleich zwei Versorgungsgesetze will das BMG in den kommenden Monaten auf den Weg bringen – und damit den „Strukturkonservatismus“ in der ambulanten Versorgung überwinden, so die Hoffnung Wellers. „Ich glaube nicht, dass wir alleine mit dem Arztberuf die Probleme lösen können. Wir brauchen auch eine zusätzliche Qualifikation und weitere Verantwortungsbereiche der anderen Gesundheitsberufe“, so Weller. Dabei helfen sollen u.a. sogenannte Gesund­­heitskioske, Gesundheitsregionen sowie erleichterte Vorgaben bei der Gründung von kommunalen Medizinischen Versorgungszentren.

links: Dr. Timm Genett, Geschäftsführer Politik im Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV)

Neue Gesundheitsnetze als Antwort auf den demografischen Wandel

Der Handlungsdruck ist hoch, machte Dr. Timm Genett, Geschäftsführer Politik im Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) deutlich. Zwar würden Privatversicherte die ambulante Versorgung überproportional mitfinanzieren und damit einen existentiellen Beitrag für eine sichere Gesundheitsversorgung leisten. Das alleine könne die ausreichende und qualitative hochwertige Versorgung in vielen Landstrichen zukünftig jedoch nicht mehr garantieren. Allein jeder dritte Hausarzt und 25 Prozent der Fachärzte werden bis 2030 in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig steigt in unserer alternden Gesellschaft der Bedarf an Gesundheitsleistungen und Pflege weiter an.

Vom wachsenden Fachkräftemangel besonders betroffen sind strukturschwache, ländliche Regionen. Die Politik müsse vor diesem Hintergrund auch zukünftig ihrer Verantwortung gerecht werden und die Gesundheitsversorgung in den besonders betroffenen Regionen sicherstellen, zum Beispiel durch lokale Lösungen und neue Versorgungsstrukturen wie Gesundheitsnetze, forderte Genett.

v. links: Hannes Schlieter und Peggy Richter, Forschungsgruppe Digital Health an der Technischen Universität Dresden

Studie zeigt Erfolgsfaktoren und Hürden für Gesundheitsnetze

Wie Gesundheitsnetze in strukturschwachen Regionen neue Wege gehen, präsentierten Peggy Richter und Hannes Schlieter von der Forschungsgruppe Digital Health an der Technischen Universität Dresden. Die Wissenschaftler haben zusammen mit Dr. Timm Genett und Dr. Anke Schlieker vom PKV-Verband die Entwicklung von ärztlichen Kooperationsnetzwerken in verschiedenen Regionen Deutschlands untersucht. Die Erfolgsfaktoren und Hürden für die neuen Gesundheitsnetze zeigt die Studie „Neue Gesundheitsnetze für den ländlichen Raum“. Ein Fazit der Autoren: Mit traditionelle Versorgungsstrukturen wird man die Probleme der Zukunft nicht lösen können.

Alexandra Eichner, Geschäftsführerin der Unternehmung Gesundheit Hochfranken (UGHO)

Wie bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen den Alltag der Gesundheitsnetze behindern, schilderten Alexandra Eichner, Geschäftsführerin der Unternehmung Gesundheit Hochfranken (UGHO), sowie Thomas Rampoldt, Geschäftsführer des Ärztezentrums in Büsum. Langwierige Bürokratie und Zulassungsverfahren, eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten und finanzielle Unsicherheiten würden das Engagement der Ärzte und Gesundheitsberufe vor Ort behindern. Beide Gesundheitsnetze konnten sich trotz der Widerstände etablieren. Die Attraktivität der beiden Gesundheitsnetze belegt unter anderem die erfolgreiche Stellenbesetzung sowohl mit Ärzten als auch mit medizinischen Fachangestellten und Pflegekräften.

rechts: Regina Reuschenberg, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)

Das Modell Praxisnetz gewinnt in der jungen Ärztegenerationen an Beliebtheit

Im System der kassenärztlichen Vereinigungen gibt es bundesweit derzeit etwa 400 Praxisnetze, betonte Regina Reuschenberg von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Dabei handelt es sich um regionale Zusammenschlüsse von Vertragsärzten oder Psychologischen Psychotherapeuten, die mit anderen Gesundheitsberufen im ambulanten oder stationären Bereich kooperieren. Die Teilnahme an einem Netzwerk sei aber auch immer die individuelle Entscheidung jedes einzelnen Arztes, stellte Reuschenberg klar. Die Praxisnetze mit Ausrichtung auf mehr Teamarbeit und interdisziplinäre Kooperation würden in wachsender Zahl den Vorstellungen von jungen Ärztinnen und Ärzte entsprechen – ein Modell mit Zukunft.

Thomas Rampoldt, Geschäftsführer Ärztezentrum Büsum

Gesundheitsnetze sind der Beweis, dass in Zeiten knapper Ressourcen eine hochqualitative und ressourceneffiziente Gesundheitsversorgung möglich ist, lautete das Fazit von Timm Genett. Dauerhaft werden Gesundheitsnetze Versorgungslücken auf dem Land aber nur schließen können, wenn die lokalen Gesundheitsberufe entsprechende rechtliche und finanzielle Spielräume bekommen. Die Politik muss dafür lokale Lösungen und neue Versorgungsstrukturen ermöglichen.