Meldung 17. Februar 2025

Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen in Deutschland spricht über dringende Reformen, die das Gesundheitssystem benötigt, die Rolle der PKV in der medizinischen Versorgung von Kindern und jungen Menschen sowie Herausforderungen im Praxisalltag.

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Herr Dr. Hubmann, wodurch zeichnet sich für Sie ein gutes Gesundheitssystem aus?

Ein Gesundheitssystem muss verfügbar sein und es muss die Menschen erreichen. Ich glaube, dass wir in Deutschland sehr lange die Wahrnehmung hatten, ein sehr gutes Gesundheitssystem zu haben. Wir merken durch die Herausforderungen des demografisches Wandels, dem Mangel an Personal und der gleichzeitig steigenden Nachfragemenge an medizinischen Leistungen, dass wir momentan aufpassen müssen, das System auf diesem Niveau zu halten.

Sie haben kürzlich über die Ampel-Regierung gesagt, sie habe viele Dinge nicht fertiggestellt. Was haben Sie damit gemeint?

Was wir unbedingt brauchen, ist die Einführung des primärärztlichen Systems mit einem Beginn der Entbudgetierung der hausärztlichen Kollegen. Wir brauchen dringend die Weiterbildungsförderung. Wir brauchen schnell einen Einstieg in eine Reform des Medizinstudiums. Wir brauchen eine steigende Zahl an Studienplätzen, und wir brauchen die Umsetzung dessen, was angefangen wurde mit der Krankenhausreform. Die Klinikreform muss jetzt zu einer spürbaren finanziellen Einsparung im Bereich der GKV führen. Das sehen wir aktuell noch nicht. Da ist die Hürde und die Erwartungshaltung für die nächste Bundesregierung natürlich sehr hoch. Auch bei der Notfallreform müssen wir vorankommen.  Hinzu kommt die Aufrechterhaltung der vernünftigen medizinischen Versorgung mit Medikamenten, die nicht von irgendwelchen Lieferketten in China abhängen. Das sind alles große Herausforderungen.

Wie wird in Ihren Augen die kinderärztliche Versorgung in Deutschland öffentlich wahrgenommen?

Wir haben als Verband den Anspruch, dass wir nicht nur die Versorgungssituation, sondern auch die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen mit ansehen. Wenn wir die Kinderheilkunde ganzheitlich sehen, ist es unheimlich wichtig, dass in der nächsten Legislatur Taten statt Worte folgen. Damit meine ich das Thema “Digitale Risiken”, wie z. B. das übermäßige Nutzen von digitalen Medien, ich meine das Thema “Verhaltensprävention”, “Verhältnisprävention”, endlich einen Einstieg in die Zuckersteuer, eine ehrliche Diskussion, ob wir Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel noch mal diskutieren oder ob es mit Selbstverpflichtungen der Industrie funktioniert. Da müssen wir wirklich weiterkommen.

Bei der PKV kann ich mich um das Problem des Patienten kümmern, kann die Untersuchungen durchführen.

Dr. Michael Hubmann , Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen

Welche Bedeutung haben Privatversicherte für Kinder und Jugendärzte?

Wir haben im GKV-System immer das Thema: Was läuft, was wird abgerechnet? Und die GKV ist anders. Bei der PKV kann ich mich um das Problem des Patienten kümmern, kann die Untersuchungen durchführen. Ich kann die Medikamente verordnen, die ich für notwendig erachte und habe im Prinzip durch den Patienten, ja über das Rechnungsstellungswesen auch das Controlling.

Wo liegen in der medizinischen Versorgung von Babys, Kindern und Jugendlichen aus Ihrer Sicht gesundheitspolitisch die größten Herausforderungen?

Wir müssen uns dafür entscheiden, dass Kinderheilkunde zur Daseinsvorsorge gehört, dass es ein flächendeckendes Versorgungsnetz mit Kinderkliniken braucht und dass es eine flächendeckende Versorgung mit ambulanten Strukturen braucht. Ich habe die Weiterbildungsförderung bereits erwähnt. Es geht auch um die Studienplätze. Die werden uns erst in zehn Jahren helfen. Das heißt, aktuell müssen wir schauen, wie bekommen wir mehr Kollegen interessiert, wie es Bayern und Hessen zum Beispiel bereits machen. Stichwort pädiatrische Landarztquote.

Was noch?

Wir müssen es schaffen, die Leistungen abzubilden und auch fair zu vergüten. Ich glaube, das werden wir nur erreichen, wenn wir auch über Nachfragesteuerung sprechen. Und ich glaube, der erste große Schritt wird sein, dass wir über die Steuerung der Kontakte außerhalb der Sprechzeiten sprechen. Notfälle sind in Deutschland immer schwer, diese Kontakte außerhalb der Sprechstunde richtig zu definieren. Wir brauchen ein verpflichtendes Ersteinschätzungsverfahren. Dort sind wir auch in Modellregionen bereits unterwegs, z. B. mit Videounterstützung. Wichtig ist, dass dieses Ersteinschätzungstool auch die Beratungsmöglichkeit "Es braucht keine weitere medizinische Versorgung" enthält, wenn einfach nur eine Beratungsnotwendigkeit zu einer Gabe von Medikamenten, zum Umgang mit Fieber oder ähnliches besteht. Einer der häufigsten Vorstellungsgründe ist Beratung zu Fieber. Wenn wir da 15 bis 20 Prozent der nicht nötigen Kontakte rausnehmen, dann sind wir einen Schritt weiter.

Wir müssen wieder klar darstellen, was für ein faszinierender Beruf Kinderheilkunde ist. Wie schön es ist, mit Kindern zu arbeiten.

Dr. Michael Hubmann , Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen

Ein Appell von Ihnen ist: "Wer die ambulante Kinder und Jugendmedizin in der Fläche erhalten will, muss auch die Rahmenbedingungen dafür wiederherstellen.". Können Sie uns das erläutern?

Wir fahren eigentlich permanent im roten Drehzahlbereich. Das bedeutet, wir müssen wieder gucken, was ist die Notwendigkeit, eine ärztliche Versorgung aufzusuchen und wie muss ich die dann auch in dem System abbilden? Es braucht auch weiterhin die flächendeckende Klinikzahl, weil wir sonst natürlich nicht genug Kolleginnen und Kollegen ausbilden können. Da sind wir relativ weit, dass wir die Mehrzahl der Kollegen mittlerweile stationär und ambulant ausbilden. Aber wenn wir nicht ausbilden, werden auch keine nachkommen. Unsere Aufgabe ist: Wir müssen vermitteln in dieser ganzen Problembeschreibung. Wir müssen wieder klar darstellen, was für ein faszinierender Beruf Kinderheilkunde ist. Wie schön es ist, mit Kindern zu arbeiten. Aber die Kunst wird sein, die Probleme zu lösen, die Belastungen zu akzeptieren und gleichzeitig eine positive Stimmung zu erzeugen.

Im vergangenen Jahr standen PKV-Verband und die Ärztinnen und Ärzte kurz vor dem Abschluss einer neuen Gebührenordnung. Wie sehen Sie die Chancen, dass das in der nächsten Legislatur umgesetzt werden könnte?

Ich glaube, wir haben die Verpflichtung, diesen Weg gemeinsam jetzt zu Ende zu bringen. Das gehört auch zu einer enkeltauglichen Politik. Ich glaube, es wäre ein Versagen den nachfolgenden Generationen gegenüber, wenn wir unserer Aufgabe einer modernen medizinischen Versorgung nicht gerecht werden. Es gibt Themen, da herrscht breite Zustimmung, sprechende Medizin müsse gestärkt werden. Wenn es allerdings so einen langen Reformstau gibt wie im deutschen Gesundheitswesen, dann bauen sich natürlich Erwartungshaltungen auf, die wahrscheinlich auch nicht überall zu erfüllen sein werden.


Interview-Serie „Starke Stimmen - starkes Gesundheitssystem"

Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Herausforderungen und Lösungen für das Gesundheitssystem

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