Meldung 17. April 2023

Im Koalitionsvertrag hat die Ampel eine finanzielle Entlastung für Pflegebedürftige in Aussicht gestellt. Ein von der PKV eingesetztes, unabhängiges und interdisziplinäres Gremium hat dafür einen Vorschlag erarbeitet. Die Vorstellung sorgte für große Aufmerksamkeit.

von links nach rechts: Prof. Dr. Thiess Büttner, Prof. Dr. Christian Rolfs, Prof. Dr. Jürgen Wasem, Prof. Dr. Christine Arentz, PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther, Constantin Papaspyratos

Mehrere hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Vorstellung der „Pflege-Plus-Versicherung“ vor Ort oder online verfolgt. Ein Grund für das gewaltige Interesse ist sicher, dass die Probleme der Pflegefinanzierung immer offenkundiger zu Tage treten und in jüngster Zeit verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind – sei es durch jüngste Presseberichte oder Studien wie durch das Wissenschaftliche Institut der PKV oder den wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium.

Nun gibt der Pflege-Expertenrat eine Antwort auf einen Bereich, in dem laut dem Vorsitzenden – Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen – „der Schuh am meisten drückt.“ Gemeint ist der hohe Eigenanteil bei den Pflegekosten im stationären Bereich. Dieser einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE) liegt mittlerweile bei über 1.200 Euro im Bundesdurchschnitt. Diesen Anteil der Pflegekosten müssen Pflegebedürftige derzeit aus eigener Tasche aufbringen. Die Ampel-Koalition will hier ansetzen: Im Koalitionsvertrag hat sie vereinbart zu prüfen, wie die soziale Pflegeversicherung um eine „paritätisch finanzierte Vollversicherung“ ergänzt werden kann, die „die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend absichert“.

Kapitaldeckung als Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels

Genau hierauf gibt der Experten-Rat nun eine Antwort. Jürgen Wasem ist überzeugt: „Wir denken, dass wir einen Vorschlag erarbeitet haben, der eine ernstgemeinte Antwort auf die Problemanalyse gibt.“ Als wichtigsten Bestandteil des Vorschlags nannte er, dass die Eigenanteile an den Pflegekosten im Kapitaldeckungsverfahren und nicht im Umlageverfahren finanziert werden solle.

  • Einführung einer obligatorischen, kapitalgedeckt finanzierten Zusatzversicherung ("Pflege-Plus") verknüpft mit einem Annahmezwang für die Versicherungsunternehmen (ohne individuelle Gesundheitsprüfung und ohne Vertriebsprovision). Die Kalkulation enthält eine automatische Dynamisierung zur Inflationssicherung, Kinder sind beitragsfrei versichert, Rentner zahlen nur den halbierten Beitrag.
  • Versichert sind die beim Pflegebedürftigen verbleibenden pflegebedingten Eigenanteile im Pflegeheim – bis auf einen Selbstbehalt von 10 Prozent.
  • Der Beitrag liegt rechnerisch bei rund 39 Euro pro Monat für das Einstiegsalter von 20 Jahren, rund 48 Euro für 40-Jährige (bei Arbeitnehmern jeweils zur Hälfte paritätisch vom Arbeitgeber bezahlt).

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Kurzfassung

Prof. Dr. Christine Arentz von der Technischen Hochschule Köln begründete die Entscheidung für die Kapitaldeckung damit, dass eine Stärkung des Umlageverfahrens zu „unsystematischen Umverteilungswirkungen zwischen den Generationen“ führen würde. Denn damit würden die heute Jüngeren auch für Personen bezahlen, die bereits selbst vorgesorgt haben und das Pflegerisiko finanziell aus eigenen Mitteln stemmen könnten – das sind immerhin rund zwei Drittel aller Pflegebedürftigen. Der Kapitaldeckungs-Vorschlag des Experten-Rats vermeide damit also eine Umverteilung zu Gunsten finanziell besser Gestellter.

Experten erachten Versicherungspflicht für Absicherung des Pflegerisikos für notwendig

Zudem sei der Beitrag in einem privaten Versicherungsmodell fair, betonte Professor Dr. Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg: „Die gezahlten Prämien entsprechen den erwarteten Leistungen.“ Mit heute 4,3 Millionen Verträgen würden indes die heutigen freiwilligen Pflegezusatzversicherungen zu wenig genutzt. Das liege an einer Unterschätzung des Langfrist-Risikos Pflege, so Büttner. Dafür sei die Politik mitverantwortlich, weil die bloße Existenz der Sozialen Pflegeversicherung eine ausreichende Abdeckung des Risikos suggeriere. Deshalb ist das Versicherungs-Modell des Experten-Rats verpflichtend für alle.  

Die Ansicht, dass eine flächendeckende Lösung über freiwillige Zusatzversicherungen schwierig sei, vertrat auch Constantin Papaspyratos vom Bund der Versicherten, schon allein deswegen, weil der Bedarf nicht ausreichend kommuniziert werde. Zum anderen müsse man beim Abschluss einer Versicherung als 20-Jähriger ein Risiko absichern, dass in der Regel erst rund 65 Jahre später eintrete. Diese Unsicherheit führe häufig zu einem Aufschub des Versicherungsabschlusses.

Einen weiteren Vorteil einer Versicherungs-Lösung nannte Professor Dr. Christian Rolfs. Denn hier seien die Rücklagen der Versicherten vor fremdem Zugriff geschützt. Denn ein Kapitalstock unter dem Dach der Sozialversicherung sei dagegen nicht vor Zweckentfremdungen durch die Politik sicher. Dafür gebe es zahlreiche Beispiele – so etwa beim Pflegevorsorgefonds. Beim Konzept des Expertenvorschlags gelte hingegen: "Die Pflege ist sicher."

PKV-Verband: Nachhaltige Pflegereform dringend notwendig

Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands dankte dem Experten-Rat für den umfassenden Vorschlag und betonte: „Es muss jetzt schnell gehandelt werden. Die angekündigte Pflegereform des Bundesgesundheitsministers liefert keine Lösung für eine dauerhafte Finanzierung der Pflege und wird das Problem langfristig sogar verschärfen.“

Der Vorschlag des Experten-Rats hingegen nehme Rücksicht auf die politischen Vorgaben des Koalitionsvertrages und könne noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden: „Wir werden den Vorschlag der Experten-Kommission in die politischen Prozesse einbringen, denn es ist höchste Zeit zum Handeln. Die Diskussion ist eröffnet.“

Die Mitglieder des Experten-Rats Pflegefinanzierung

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Jürgen Wasem

Technische Hochschule Köln

Prof. Dr. Christine Arentz

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Prof. Dr. Thiess Büttner

Universität zu Köln

Prof. Dr. Christian Rolfs

Bund der Versicherten

Constantin Papaspyratos