I. Zu Ausgewählten Regelungen des Gesetzentwurfes
Artikel 1 Nr. 11 – Betreuung von Jugendlichen durch ambulante Hospizdienste
Vorgeschlagene Regelung
Mit den Einfügungen wird zunächst verdeutlicht, dass Jugendlichen eine Betreuung durch ambulante Hospizdienste zusteht. Darüber hinaus wird vorgesehen, dass für die Betreuung eine eigene Rahmenvereinbarung vorzusehen ist.
Bewertung
In den meisten Fällen gibt es für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen schon eigene ambulante Hospizdienste. Ebenso gelten für die Betreuung von Kindern (und Jugendlichen) auch jetzt schon einige gesonderte Bedingungen, unter anderem bei der Berechnung der Leistungseinheiten. Im Wesentlichen wird mit der Anpassung der gesetzlichen Grundlage eine Absicherung der differenzierten Begleitung nachvollzogen. Es wird kein Korrekturbedarf an dieser Gesetzesänderung gesehen.
Artikel 1 Nr. 12 – Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken (§ 39d SGB V-E)
Vorgeschlagene Regelung
Die 401 Kreise und kreisfreien Städte sollen eine Förderung zum Aufbau bzw. zum Unterhalt von regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken erhalten. Dafür sollen bis zu 15.000 Euro pro Jahr und Netzwerk bereitgestellt werden, wenn die jeweilige Kommune sich in gleicher Höhe beteiligt. Das Netzwerk soll sich untereinander austauschen und seine Angebote koordinieren, ebenfalls mit weiteren kommunalen Behörden und kirchlichen Einrichtungen zusammenarbeiten und Erfahrungsaustausch betreiben. Der GKV-Spitzenverband soll bis Ende März 2022 Regeln für die Förderung erstellen.
Bewertung
In den verschiedenen Strukturen der Hospiz- und Palliativversorgung ist immer auch eine Koordination mit anderen an der Versorgung Beteiligten verankert. Für Koordinierungsarbeit werden somit auch schon für die Beteiligten Finanzierungsbeiträge bereitgestellt. Damit sind auch die meisten der Ziele schon adressiert, die in § 39d neu in Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 bis 6 benannt werden. Mit welchen positiven Effekten auf den einzelnen zu betreuenden Patienten dabei zu rechnen ist, wird vom Gesetz nicht adressiert. Die beschriebene Kooperation mit lokalen Einrichtungen wie Altenhilfe, Behörden oder Kirchen zu finanzieren, geht weit über die medizinische Versorgung hinaus. Die Hospiz- und Palliativeinrichtungen sind auch in Verbänden organisiert, die schon einen Austausch miteinander pflegen. Soweit hier Bedarf zur Vernetzung mit weiteren Akteuren gesehen wird, sollte das von den kommunalen Behörden oder der Kirche auch finanziert werden. Es erscheint nicht angemessen, dass kommunale Aufgaben in den Bereich der Finanzierung durch Krankenversicherungen verschoben werden.
Artikel 1 Nr. 42 – Anerkennung von Solidargemeinschaften als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall (§ 176 SGB V-E)
Vorgeschlagene Regelungen
Mit § 176 SGB V-E sollen Solidargemeinschaften, die bereits vor Einführung der Krankenversicherungspflicht ihre Mitglieder abgesichert haben, als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall bzw. als ein mit dem Anspruch auf freie Heilfürsorge oder Beihilfeberechtigung vergleichbarer Anspruch gesetzlich anerkannt werden. Die Regelung sieht vor, dass die Mitglieder einen Leistungsanspruch auf SGB V-Niveau gegen die Solidargemeinschaft haben. Im Fall der Zahlungsunfähigkeit einer Solidargemeinschaft oder einer aus anderen Gründen endenden Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft sind die PKV-Unternehmen gemäß § 193 VVG oder die Krankenkassen aufgrund der wiederauflebenden (nachrangigen) Versicherungspflicht zur Versicherung der ausgeschiedenen Mitglieder einer anerkannten Solidargemeinschaft verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht unabhängig vom Lebensalter der ausgeschiedenen Mitglieder. Die Versichertengemeinschaften der privaten Krankenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung tragen somit das Risiko, dass ein Mitglied in einer Solidargemeinschaft seine Mitgliedschaft beendet, wenn höhere Krankheitskosten anfallen, die von der Solidargemeinschaft nicht erstattet werden (sog. Vorteilshopping) und das Risiko der Zahlungsunfähigkeit einer anerkannten Solidargemeinschaft.
Bewertung
Die im Referentenentwurf vorgesehene Gleichstellung der Mitgliedschaft in einigen, näher definierten Solidargemeinschaften mit der Absicherung in der Gesetzlichen oder Privaten Krankenversicherung ist nicht sachgerecht. Eine Gleichstellung mit gesetzlichen Krankenkassen oder privaten Krankenversicherungen ist unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes allenfalls für die Mitgliedschaft zu rechtfertigen, nicht aber für die Einrichtungen selbst, die jederzeit in einen kleinen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit umgewandelt werden könnten.
Die in § 176 SGB V-E vorgesehene Anerkennung der Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall soll unter anderem an die Voraussetzung geknüpft werden, dass es sich um eine Mitgliedschaft in einer am 1. April 2007 bereits bestandenen und seitdem ununterbrochen fortgeführten Solidargemeinschaft handelt. Insoweit reicht der von der Vorschrift vermittelte Bestandsschutz zu weit. Die Solidargemeinschaften haben sich bei Aufnahme neuer Mitglieder nach Einführung der Krankenversicherungspflicht bewusst und im Wissen um die bestehende Krankenversicherungspflicht für ein rechtlich und inhaltlich unzureichendes Konzept entschieden. Ein schützenswertes Interesse der Solidargemeinschaften, das es rechtfertigt, diese gegenüber „jüngeren“ Solidargemeinschaften zu bevorteilen, ist nicht erkennbar. Allenfalls schützenswert sind die Personen, die sich vor Einführung der Krankenversicherungspflicht für ein solches Konzept entschieden haben, im Vertrauen darauf, sich mit einer gemeinschaftlichen Absicherung in Krankheitsfällen rechtskonform zu verhalten. Insofern wäre es denkbar, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für die Anerkennung nach § 176 SGB V-E auf die bereits vor dem 1. April 2007 begründete und seitdem ununterbrochen fortgeführte Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft abzustellen.
Für bedenklich erachtet der PKV-Verband, dass trotz des in § 176 Abs. 3 SGB V-E vorgesehenen Leistungsanspruchs das Absicherungsniveau in den Solidargemeinschaften zweifelhaft bleibt. Der Entwurf verpflichtet die anerkannten Solidargemeinschaften lediglich zur Erstattung der Leistung, die der Art nach den Leistungen des SGB V entspricht. Damit bleibt der Leistungsanspruch deutlich hinter den gesetzlichen Anforderungen zur Erfüllung der Pflicht zur Versicherung nach § 193 Abs. 3 VVG zurück.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass Regelungen fehlen, wonach jede Kündigung einer nach § 176 Abs. 1 SGB V-E anerkannten Mitgliedschaft durch die Solidargemeinschaft ausgeschlossen ist. Ohne eine solche ist es der Solidargemeinschaft möglich, bei Gefahrerhöhungen oder Beitragsrückständen dem Mitglied einseitig zu kündigen und einen Zustand ohne Absicherung herbeizuführen.
Auf Bedenken stößt auch, dass die anerkannten Solidargemeinschaften durch die Implementierung eines gesetzlichen Leistungsanspruchs ihrer Mitglieder zu Versicherungsunternehmen i. S. d. § 7 Nr. 33 VAG werden, ohne dass erkennbar wäre, dass diese insbesondere die Solvency II-Vorgaben erfüllen und damit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen. Demgegenüber unterliegen Private Krankenversicherer grundsätzlich den umfassenden Sicherungsvorgaben des Solvency II-Regimes. Und dies aus Sicht der Versicherten mit guten Gründen. Solvency II ist ein modernes EU-weites Aufsichtssystem und unterstützt gute Unternehmensführung sowohl in quantitativer (harte Solvenzkapitalvorgaben) und qualitativer Hinsicht (Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo)). Über die Solvenzsituation hat ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung zudem mindestens einmal im Jahr öffentlich zu berichten (SFCR). Als Frühwarnsystem gewährleistet Solvency II mit einem annähernd 100%igen Konfidenzniveau die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens der privaten Krankenversicherung über die gesamte (i.d.R. lebenslange) Vertragslaufzeit.
Dieses äußerst hohe, allerdings auch sehr ressourcenaufwendige Schutzniveau in der Privaten Krankenversicherung dient letztlich den versicherten Personen, die sich auf die belastbare Einstandspflicht ihrer Versicherer verlassen können und sollen. Für die Solidargemeinschaften sollte in dieser Hinsicht ebenfalls ein – unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten und den damit verbundenen Risiken – angemessenes, allerdings auch hinreichendes (gesetzliches) Schutzsystem zur Anwendung kommen.
Neben der systematischen Gewährleistung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaften fehlen im Gesetzesentwurf u. a. hinreichende Compliance-Vorgaben bezüglich des Geschäftsbetriebes der Solidargemeinschaften. Aus Sicht der Betroffenen ist ein umfassender organisatorischer und struktureller Schutz der Versichertengelder zwingend erforderlich, um das Risiko bspw. betrügerischen oder veruntreuenden Verhaltens nach Möglichkeit auszuschließen. Überdies fehlen Regelungen zum Datenschutz, der gerade in Gesundheitsfragen besonders wichtig ist. Solidargemeinschaften sollten zudem verpflichtet sein, die Rechtsform des eingetragenen Vereins einzunehmen. Durch die Eintragung ins Vereinsregister wird sichergestellt, dass ausreichende Transparenz über die Verantwortlichkeiten in der Selbsthilfeeinrichtung besteht. In diesem Zusammenhang sollte auch geregelt werden, dass der Vereinsvorstand eine ausreichende Qualifikation haben und insbesondere zuverlässig sein muss. Hierüber könnte das Bundesamt für Soziale Sicherung entscheiden.
Durch die vorgesehene Änderung des § 3 Abs. 1 VAG, nach der anerkannte Solidargemeinschaften nicht den erlaubnis- und aufsichtsrechtlichen Vorgaben des VAG unterliegen, erreichen die anerkannten Solidargemeinschaften eine nicht gerechtfertigte Privilegierung gegenüber sonstigen Versicherungsunternehmen. Dies dürfte unvereinbar sein mit dem europäischen, einheitlichen Aufsichtsrecht für alle Versicherungen. Ungeregelt sind insbesondere wesentliche versicherungsaufsichtsrechtliche Fragen, wie bspw. der Schutz der Solidargemeinschaften vor versicherungsfremden Leistungen i. S. d. § 15 VAG. Gleiches gilt für die aufsichtsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsätze.
Die in § 176 Abs. 4 Satz 3 SGB V-E vorgesehene Reduzierung der Rolle Bundesamtes für Soziale Sicherung auf die bloße Bestätigung, dass ein nach Satz 1 und 2 testiertes Gutachten vorliegt, ersetzt keine wirksame Aufsicht, wie sie für sonstige Versicherungsunternehmen oder Gesetzliche Krankenkassen besteht. Prüfungskompetenzen werden dem Bundesamt für Soziale Sicherung nicht zugeschrieben. Damit würden – in Verbindung mit der vorgesehenen Änderung des § 3 Abs. 1 VAG – die anerkannten Solidargemeinschaften weder der Aufsicht des Bundesamtes für Soziale Sicherung noch der BaFin unterliegen. Sie wären aufsichtsfrei, obwohl ihnen die Erfüllung einer existenziellen und lebenslangen Absicherung im Krankheitsfall zugestanden wird. Das ist – auch im eigenen Interesse der Mitglieder der Solidargemeinschaften – nicht nachvollziehbar. Entsprechend positionieren sich auch Versichertenvertreter kritisch.
Im Falle einer Insolvenz einer Solidargemeinschaft und der sich anschließenden ungeregelten Abwicklungsphase würde sich der Gesetzgeber möglicherweise dem Vorwurf ausgesetzt sehen, weshalb er keine ausreichenden Vorkehrungen zum Schutz der Versichertengelder und der Sicherstellung der Finanzierung von notwendigen Gesundheitsleistungen getroffen hat. Das Risiko, dass letztlich die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen und / oder der Staat einspringen müssten, ist nicht von der Hand zu weisen.
Schlussendlich ist darauf hinzuweisen, dass im Gesetzentwurf nicht vorgesehen ist, dass die anerkannten Solidargemeinschaften einen finanziellen Beitrag für allgemeine Finanzierungserfordernisse im Gesundheitssystem zu leisten haben, etwa die Finanzierung von Krebs- und Implantateregistern oder auch der Sonderaufwendungen im Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Pandemie. Diese Lasten tragen allein die gesetzlichen und privaten Versichertengemeinschaften. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich eine nicht gerechtfertigte Privilegierung gegenüber den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und der GKV.
Artikel 4 Nr. 1 – Notlagentarif in der PKV (§ 192 Abs. 7 VVG)
Vorgeschlagene Regelungen
Mit der vorgeschlagenen Regelung soll ein Direktanspruch der Leistungserbringer gegenüber dem Versicherer auf Leistungserstattung für den Notlagentarif eingeführt werden. Zudem soll es dem Versicherer künftig untersagt sein, Prämienforderungen gegen Forderungen des Versicherungsnehmers aufzurechnen.
Bewertung
Bei den in Artikel 4 Nr. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG-E) vorgesehenen Änderungen des § 192 Abs. 7 VVG wird ausweislich der Begründung davon ausgegangen, dass die medizinische Versorgung der Versicherten sowohl im Basis- als auch im Notlagentarif nicht gewährleistet ist. Für eine derartige Annahme gibt es hingegen keine systematischen Anhaltspunkte. Nach § 75 Abs. 3a S. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auch die ärztliche Versorgung der im Basis- und Notlagentarif Versicherten mit den in diesen Tarifen versicherten ärztlichen Leistungen sicherzustellen. Diesem Sicherstellungsauftrag kommen die Einrichtungen nach.
Schutzzweck des Notlagen- und Basistarifs
Der Gesetzentwurf strebt parallele gesetzliche Regelungen für den Basis- und den Notlagentarif an. Dabei wird verkannt, dass sich die beiden Tarife nach dem jeweiligen Schutzzweck und der Schutzbedürftigkeit der Versicherten sehr deutlich voneinander unterscheiden:
Der Notlagentarif wurde für solche Versicherungsnehmer geschaffen, die – ohne hilfebedürftig zu sein – ihre Beiträge – unabhängig von den Gründen – nicht zahlen (s. BT-Drs. 17/1309). Voraussetzung für die Versicherung im Notlagentarif ist allein ein bestimmter Zahlungsverzug, etwa auch aufgrund einer bloßen Zahlungsverweigerung. Er wurde ausdrücklich nicht für sozial schutzbedürftige Personen geschaffen, bei denen Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II oder XII vorliegt und entsprechend vom Sozialhilfeträger bescheinigt wurde. Der Bundesgerichtshof (BGH) charakterisiert die Funktion des Notlagentarifs zutreffend in seinem Urteil vom 5. Dezember 2018 (IV ZR 81/18):
„Der Notlagentarif ist mithin – anders als der Begriff nahelegt – von vornherein nicht der Tarif für einen bedürftigen Versicherungsnehmer, der grundsätzlich nicht in der Lage ist, seinen Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nachzukommen und dem wegen seiner finanziellen Verhältnisse Ansprüche auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch zustehen. Der Grund für die Nichtzahlung spielt beim Notlagentarif gerade keine Rolle. Es handelt sich bei ihm in der Sache um einen reinen Tarif für Nichtzahler.“
Anders ausgedrückt: Der Notlagentarif ist für Versicherte konzipiert, die die Zahlung der Beiträge verweigern, nicht für solche, die nicht zahlen können. Insofern mag die Bezeichnung „Notlagentarif“ eine finanzielle Notlage der Versicherten suggerieren, die es nicht gibt. Tatsächlich handelt es sich um einen „Nichtzahlertarif“. Dem Notlagentarif kommt dabei auch der Charakter eines Sanktionsmittels für nicht gezahlte Beiträge zu. Erst mit Zahlung aller rückständigen Beiträge hat der Versicherte – abgesehen vom Eintritt der Hilfebedürftigkeit – das Recht, in seinen Ursprungstarif zurückzukehren und dessen vollen Leistungsumfang zu beanspruchen.
Der Basistarif bietet besonderen, gesetzlich verankerten Schutz für nichtversicherte Personen und Versicherte, die hilfebedürftig nach dem SGB II oder SGB XII sind oder es durch Zahlung des Versicherungsbeitrags werden würden. Ihr Beitrag reduziert sich auf die Hälfte des Höchstbeitrags, ihr tariflicher Leistungsanspruch bleibt vollumfänglich bestehen. Der daraus resultierende Fehlbetrag wird per Beitragszuschlag von den übrigen Versicherten aller Unternehmen finanziert, die den Basistarif anbieten. Das Gesetz billigt dem hilfebedürftigen Versicherungsnehmer – ungeachtet etwaiger Beitragsrückstände – mithin den vollen tariflichen Leistungsanspruch zu. Die Hilfebedürftigkeit ist damit Ausdruck der vom Gesetzgeber angenommenen besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers, der seine finanzielle Bedürftigkeit durch die Bescheinigung des zuständigen Trägers der Sozialversicherung positiv nachweist. Nicht hilfebedürftige Personen im Basistarif sind indes ebenso wenig schutzbedürftig wie in anderen Tarifen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Basistarif gerade für die Absicherung von nichtversicherten Personen dient.
Eine unterschiedliche gesetzliche Ausgestaltung von Basis- und Notlagentarif, wie derzeit im VVG verankert, ist im Hinblick auf unterschiedliche Charakteristik der beiden Tarife nicht nur angemessen, sondern geradezu notwendig.
Bei den durch die in Artikel 4 Nr. 1 GVWG-E vorgesehenen Änderungen im Basis- und Notlagentarif wird darüber hinaus verkannt, dass diese einseitig die Leistungserbringer zu Lasten der Versichertengemeinschaft der redlichen, beitragszahlenden Kunden begünstigen. Dem Notlagentarif würde die diesem inhärente Sanktionswirkung für Nichtzahler und dessen Ausnahmefunktion genommen; es handelt sich eben nicht um einen „regulären“ Tarif.
Einführung eines Direktanspruchs des Leistungserbringers
Artikel 4 Nr. 1 lit. a) GVWG-E sieht vor, den bereits im Basistarif bestehenden Direktanspruch der Leistungserbringer gegenüber dem Versicherer auf Leistungserstattung auch für den Notlagentarif einzuführen.
Hiermit soll das Ziel verfolgt werden, den Versicherten im Notlagentarif zu schützen. So heißt es in der Begründung des Referentenentwurfs: „Die Einführung eines Direktanspruchs ist gerade bei einer Versicherung im Notlagentarif sachgerecht, da es hierbei insbesondere um die medizinische Versorgung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen, bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie für Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche nach gesetzlich eingeführten Programmen und für von der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut empfohlenen Schutzimpfungen geht.“ Anders als beim Basistarif handelt es sich, wie oben dargestellt, bei dem Notlagentarif jedoch gerade um keinen „Sozialtarif“. Der Schutz der im Notlagentarif Versicherten ist daher sachlich nicht geboten.
Darüber hinaus wird übersehen, dass es sich bei der Einführung eines solchen Direktanspruchs in erster Linie um den Schutz der Leistungserbringer vor Forderungsausfall handelt. Eine solche systemfremde Verschiebung des Liquiditätsrisikos zu Lasten der Versicherer und damit letztlich des Versichertenkollektivs ist im Hinblick auf die – wie oben dargelegt – fehlende Schutzbedürftigkeit der Versicherungsnehmer im Notlagentarif nicht gerechtfertigt. Der zahlungsunwillige Kunde wird dadurch belohnt, dass er den Behandelnden direkt an den Versicherer verweist. Und dies vor dem Hintergrund, dass in der Praxis vielfach die Vermutung naheliegt, dass die Versicherten die Erstattungen der Versicherer nicht zweckgemäß verwenden und es hierdurch erst zu einem potentiellen Ausfall der Honorarforderungen der Leistungserbringer kommen kann.
Zudem wird verkannt, dass ein solcher Direktanspruch sowie die Einführung einer gesamtschuldnerischen Haftung von Versicherungsunternehmen und Versichertem gegenüber Leistungserbringern im Ergebnis die Einführung des der PKV vollkommen fremden „Sachleistungsprinzips“ darstellen. Eine gesamtschuldnerische Haftung ist zudem rechtlich nicht möglich, da den beiden Schuldverhältnissen – Versicherungsvertrag und Behandlungsvertrag – keine objektive Zweckgemeinschaft zugrunde liegt.
Die Einführung eines Direktanspruchs verursacht darüber hinaus für die Versicherungsunternehmen der Privaten Krankenversicherung einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand. Sie sähen sich dadurch einer Vielzahl von Gläubigern gegenüber, anstatt wie bisher nur ihrem Versicherungsnehmer gegenüber zur Zahlung verpflichtet zu sein. Ein derartiger Verwaltungsaufwand ist im Notlagentarif bisher nicht einkalkuliert. Das Kollektiv würde zusätzlich und unverhältnismäßig belastet.
Letztlich wären mit dem Direktzahlungsanspruch auch datenschutzrechtliche Nachteile verbunden. Es entstünde das Risiko, dass Leistungserbringer gegen den Willen des Notlagentarif-Versicherten an den Versicherer herantreten und dessen – besonders schützenswerten – Gesundheitsdaten offenlegen.
In der Praxis bietet im Übrigen die Möglichkeit des Einholens einer Kostenübernahmeerklärung gemäß § 192 Abs. 8 VVG einen guten Ansatz, das Kostenrisiko handhabbar zu machen. In diesem Sinne könnte es erwägenswert erscheinen, statt eines Direktzahlungsanspruchs über einen Anspruch auf Erteilung einer Kostenübernahmeerklärung mit Direktzahlung im stationären Bereich nachzudenken.
Einführung eines Aufrechnungsverbots
Für die in Artikel 4 Nr. 1 lit. b) GVWG-E vorgesehene Einführung eines Aufrechnungsverbots des Versicherers mit Prämienforderungen gegen eine Forderung des Versicherungsnehmers besteht weder im Basis- noch im Notlagentarif eine Notwendigkeit noch erscheint eine solche angemessen.
Hinsichtlich des Notlagentarifs hat dies der BGH in seiner oben zitierten Entscheidung vom 5. Dezember 2018 wie folgt zusammengefasst: „Ziel der Einführung des Notlagentarifs war es, die Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, gleichzeitig ihre Notfallversorgung zu gewährleisten und das Kollektiv der Versichertengemeinschaft finanziell zu entlasten (BT-Drucks. 17/13079 S. 6). Diese Ziele werden auch im Falle einer zulässigen Aufrechnung nicht vereitelt.“
Das Ziel, den Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, wird dadurch erreicht, dass die Versicherung nicht im bisherigen Tarif oder im Basistarif, sondern im Notlagentarif mit geringeren Beiträgen fortgesetzt wird. Entsprechend wird einer weiteren Überschuldung für die Zukunft vorgebeugt.
Auch für das vom Gesetzgeber bei Einführung des Notlagentarifs verfolgte Ziel einer Gewährleistung einer Notfallversorgung bedarf es keines Aufrechnungsverbots. Vielmehr wird diese bereits durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen gesichert: Zunächst bleibt dem Versicherungsnehmer auch im Notlagentarif der Versicherungsschutz erhalten. Eine Kündigung des Versicherungsvertrags ist gem. § 206 Abs. 1 S. 1 VVG trotz des Beitragsrückstandes ausgeschlossen. Ist der Versicherungsnehmer wegen seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, die Forderungen der Leistungserbringer selbst zu begleichen, sieht das Gesetz eine Lösung über § 193 Abs. 6 S. 5 VVG vor: Das Ruhen des Vertrages tritt nicht ein oder endet bei Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII. Der Eindruck, den die in Artikel 4 Nr. 1 lit. b) GVWG-E vorgesehene Änderung erweckt, nur durch ein Aufrechnungsverbot könne ein Mindestmaß an medizinischer Versorgung gewährleistet werden, geht mithin fehl.
Ist der Versicherungsnehmer im Einzelfall trotz fehlender Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 193 Abs. 6 S. 5 VVG nicht in der Lage bzw. nicht willens, Forderungen medizinischer Leistungserbringer selbst zu bezahlen, weil der Versicherer seine Leistungspflicht aus dem Notlagentarif durch Aufrechnung mit ihm weiterhin zustehenden Prämienforderungen erfüllt, fällt dies in seinen Risikobereich, nicht in die des Kollektivs.
Im Übrigen wird verkannt, dass ein Aufrechnungsverbot im Notlagentarif sogar eine kontraproduktive Wirkung entfalten kann. So wird vielfach durch die Aufrechnung eine Rückkehr in den Ursprungstarif ermöglicht und damit ein Zugang zur Normalversorgung.
Das Aufrechnungsverbot soll offenbar die Leistungserbringer schützen. Letztlich bleibt das Aufrechnungsverbot zum Schutz der Leistungserbringer aber wirkungslos. Es zwingt zwar den Versicherer zur Auszahlung an den Versicherungsnehmer; ob dieser damit die Rechnung Leistungserbringers bezahlt, d.h. ob die Versicherungsleistung zweckentsprechend verwendet wird, ist aber vollkommen offen. Im Gegenteil: gerade bei den Versicherten des Notlagentarifs bestehen häufig generelle Liquiditätsprobleme und die Versicherten verwenden die Gelder für andere Zwecke der Lebensführung.
Das Aufrechnungsverbot des Versicherers umfasst nach dem vorgesehenen Wortlaut sämtliche Forderungen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsverhältnis. Gegen eine derart weite Fassung bestehen erhebliche Bedenken. Sie schließt beispielsweise auch aus, dass der Versicherer gegen Forderungen des Versicherungsnehmers aufrechnet, die sich nicht auf Versicherungsleistungen beziehen, sondern etwa auf Rückzahlung von Beiträgen.
Auch für die Einführung eines Aufrechnungsverbots im Basistarif besteht keine Notwendigkeit. Ein solches könnte allenfalls im Hinblick auf die im Basistarif versicherten hilfebedürftigen und mithin schutzbedürftigen Personen angedacht werden, um deren medizinische Versorgung auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten. Ein solcher Ausschluss einer Aufrechnung entspricht indes der bisherigen Praxis und ist mithin überflüssig.
Der PKV-Verband schließt seit Einführung des brancheneinheitlichen Basistarifs eine Aufrechnungsbefugnis dann aus, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII ist. Ein solches Aufrechnungsverbot ergibt sich aus der Tatsache, dass das Gesetz dem hilfebedürftigen Versicherungsnehmer ungeachtet etwaiger Beitragsrückstände den vollen tariflichen Leistungsanspruch zubilligt. Dies, und nicht eine den Ruhensleistungen entsprechende Notfallversorgung, ist der zu gewährende Mindestschutz. Die Hilfebedürftigkeit ist damit Ausdruck der vom Gesetzgeber angenommenen besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers, der seine finanzielle Bedürftigkeit durch die Bescheinigung des zuständigen Trägers der Sozialversicherung positiv nachweist und sich damit von säumigen Versicherungsnehmern, deren Leistungsanspruch ohne solche Gründe ruhend gestellt wird, unterscheidet.
Für die gesetzliche Krankenversicherung findet sich diese Wertung im Gesetz wieder: Gemäß § 51 Abs. 2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen nur bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig wird.
Im vorliegenden Gesetzentwurf wurde nicht berücksichtigt, dass das vorgesehene Aufrechnungsverbot im Basistarif auch zu Gunsten derjenigen Versicherten greifen würde, die nicht hilfebedürftig sind. Eine derartige Besserstellung gegenüber Versicherten in „Normaltarifen“, bei denen eine Aufrechnung nach § 394 S. 2 BGB zulässig ist, ist nicht gerechtfertigt und lässt sich auch nicht mit dem im Gesetzentwurf formulierten Ziel begründen. Der Gesetzesentwurf ist in jedem Fall in dieser Hinsicht abzuändern.
Schlussbemerkung / Petitum
Vor dem Hintergrund, dass es keine Anhaltspunkte für bestehende systematische Benachteiligungen (insbesondere Zahlungsausfälle) der Basistarif-Versicherten gibt, sollte insoweit in jedem Fall von der Einführung eines Aufrechnungsverbotes abgesehen werden. Anders als beim Notlagentarif, der gerade Notfallversorgung sicherstellen soll, gibt es nach der gesetzlichen ratio und Konzeption des Basistarifes, der strukturell eben nicht auf Konstellationen finanzieller Engpässe ausgerichtet ist, keine Notwendigkeit für die Schaffung eines Aufrechnungsverbotes.
Zu den vorgesehenen Modifikationen des Notlagentarifs ist festzuhalten, dass die gleichzeitige, uneingeschränkte Einführung sowohl eines Aufrechnungsverbots als auch eines Direktanspruchs über das Ziel hinausschießt, die Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung von im Notlagentarif Versicherten zu verbessern. Eine solche kumulierte gesetzliche Regelung wäre nicht erforderlich, um etwaige Zahlungsausfälle bei Ärzten, Krankenhäusern etc. zu vermeiden.
Für Versicherte im Notlagentarif, die wie dargestellt ausdrücklich nicht (sozial) schutzbedürftig sind, besteht grundsätzlich kein zwingendes Erfordernis für ein Aufrechnungsverbot. Die hierdurch begründete Besserstellung der Versicherten und Leistungserbringer zulasten der Versichertengemeinschaften ist nicht gerechtfertigt. Zudem zeigt die Praxis, dass die Aufrechnungsmöglichkeit bei Notlagentarif-Versicherten regelmäßig dazu beiträgt, bestehende Prämienrückstände zu reduzieren und so die Perspektive auf eine Rückkehr in den Normaltarif mit umfassenden Leistungen zu erhalten. Ungeachtet dessen würde der angestrebte Schutz der Leistungserbringer bereits durch den – bislang zusätzlich vorgesehenen – Direktanspruch ausreichend Genüge getan; gleichzeitig beider Elemente, Aufrechnung und Direktzahlungsanspruch, bedarf es hierfür nicht. Keinesfalls sollte ein Aufrechnungsschutz über die konkreten Ansprüche auf Versicherungsleistungen für die Notfallversorgung hinausgehen.
Wenngleich ein sachliches Erfordernis eines (zusätzlichen) Direktanspruchs der Leistungserbringer im Notlagentarif ebenfalls nicht zu erkennen ist, könnte ein Anspruch auf Erteilung einer Kostenübernahmeerklärung mit Direktzahlung im stationären Bereich vorgesehen werden. In jedem Fall müsste das Risiko einer doppelten Inanspruchnahme der Versicherer durch den Leistungserbringer und zugleich den Versicherungsnehmer ausgeschlossen werden. Die Geltendmachung der Erfüllungswirkung der (direkten) Zahlungen an die Leistungserbringer gegenüber den Versicherten müsste ausdrücklich erhalten bleiben. Gleichzeitig könnte eine gesetzliche Klarstellung, dass sich die Versicherer gegenüber dem direktzahlungsberechtigten Leistungserbringer nicht auf eine Aufrechnung mit rückständigen Beiträgen gegenüber dem Versicherungsnehmer berufen dürfen, eine interessenausgleichende Gestaltungsoption darstellen.