BIPAM: PKV kritisiert die künstliche Trennung zwischen infektiösen und nicht übertragbaren Erkrankungen zwischen BIPAM und RKI sowie die Einengung auf „Prävention in der Medizin“. Primärprävention und die Gestaltung gesunder Lebenswelten geraten in den Hintergrund.
Zusammenfassung
- Die PKV begrüßt grundsätzlich das Ziel der Stärkung der Öffentlichen Gesundheit und einer besseren Zusammenarbeit der vertretenen Akteure. Hier sind transparente und gut strukturierte Zuständigkeiten und Prozesse zwischen den vielen Beteiligten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene dringend erforderlich.
- Weshalb es für diese Aufgabe eines neuen Instituts bedarf und hier eine künstliche Trennung zwischen infektiösen und nicht-übertragbaren Erkrankung unternommen wird, erschließt sich nicht. Die Trennung ist weltweit einmalig, wird von den Fachverbänden kritisiert und erschwert zusammenhängende Sichtweisen.
- Das BIPAM – Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin – führt in seinem Namen eine sehr enge Fokussierung auf medizinische Prävention an. Eine dringend erforderliche Public-Health-Ausrichtung unterbleibt, Primärprävention und die Gestaltung gesunder Lebenswelten geraten in den Hintergrund.
- Angesichts des Fachkräftemangels in der Medizin, der demografischen Entwicklung, einer dynamischen Entwicklung der Leistungsausgaben und ungeklärter Finanzierungsfragen, angesichts der strukturellen Defizite in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist diese Einengung auf „Prävention in der Medizin“ fatal. Deutschland braucht nicht mehr Untersuchungen und Behandlungen im ärztlich-medizinischen Kontext, sondern einen Aufbruch in Prävention und Gesundheitsförderung.
I. Allgemeine Anmerkungen
Im Koalitionsvertrag 2021 bis 2025 „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ wurde die Neuorganisation der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vereinbart: „Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geht in einem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf, in dem die Aktivitäten im Public-Health-Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sind.“ Diese Vorgabe erfolgte unter anderem auch aus den Erfahrungen der COVID 19-Pandemie, die belegten, dass die behördlichen Strukturen nicht suffizient genug aufgestellt waren. Eine Weiterentwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens wird auch vom Beirat des ÖGD-Pakts angemahnt sowie vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (SVR) in der Stellungnahme 2023 „Resilienz im Gesundheitswesen – Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ adressiert.
Zur Umsetzung dieser Forderungen beabsichtigt das BMG die Errichtung eines neuen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM). In dieses soll die BZgA überführt und Teile des Robert Koch-Instituts (RKI) eingegliedert werden. Durch die Zusammenlegung sollen auf Bundesebene wissenschaftliche und zielgruppenspezifische Erkenntnisse, die daraus abgeleiteten Empfehlungen und Kommunikationsmaßnahmen sowie deren Evaluation unter einem Dach zusammengebracht werden. Der Fokus des BIPAM soll dabei – wie bislang bei der BZgA – auf der Entwicklung und Unterstützung von evidenz- und datenbasierten Präventionsmaßnahmen sowie der Stärkung von zielgruppenspezifischer Gesundheitskommunikation liegen. Neue Kompetenzen in den Bereichen Evidenzgenerierung und Datenanalyse sollen durch die Einbindung der entsprechenden Abteilungen des RKI geschaffen werden. Neuer und wesentlicher Schwerpunkt des BIPAM soll die Unterstützung der Koordination von Aktivitäten im Bereich Öffentliche Gesundheit sein und dessen freiwillige Vernetzung mit weiteren Akteurinnen und Akteuren.
Neben dem neuen BIPAM bleibt das RKI bestehen, allerdings beschränkt auf eine Zuständigkeit für die Bereiche Forschung, Fachkommunikation, Infektionsschutz und Biosicherheit sowie auf Infektionserkrankungen und nicht übertragbare Krankheiten, die in Zusammenhang mit übertragbaren Krankheiten stehen.
Die PKV begrüßt grundsätzlich das Ziel der Stärkung der Öffentlichen Gesundheit und einer besseren Zusammenarbeit und Vernetzung der vertretenen Akteure. Hier sind transparente und gut strukturierte Zuständigkeiten und Prozesse zwischen den vielen Beteiligten auf Bundes-, Landes und kommunaler Ebene dringend erforderlich. Weshalb es für diese Aufgabe jedoch eines neuen Instituts bedarf und hier eine künstliche Trennung zwischen infektiösen und nicht-übertragbaren Erkrankung unternommen wird, erschließt sich nicht. Im Gegenteil: Die Trennung ist weltweit einmalig, wird von den Fachverbänden kritisiert und erschwert zusammenhängende Sichtweisen.
Krebs beispielsweise zählt als nicht-übertragbare, chronische Erkrankung, deren Eintrittswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Lebensalter zunimmt und die vielfach neben genetischen Faktoren eine enge Verbindung mit dem Lebensstil aufweist. Bei einigen Krebsarten jedoch sind Infektionen die Auslöser: Nachgewiesen ist dies etwa beim humanen Papillomvirus (HPV), das die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs oder Genitaltumoren begünstigt. Schon dieses Beispiel zeigt die Willkürlichkeit der Trennung der beiden Institute und die Notwendigkeit einer sehr eng abgestimmten Zusammenarbeit, wenn etwa die Zuständigkeit für bestimmte Krebsarten zwischen den Häusern verteilt wird. Auch für die COVID 19-Pandemie sind Infektionen ursächlich: Diese Infektionserkrankungen werden also auch künftig zwei Zuständigkeiten haben, einmal im RKI für Forschung und Berichterstattung und einmal im neuen BIPAM für die Entwicklung einer abgestimmten Krisenkommunikation und Maßnahmenplanung. Welche Verbesserungen durch die neuen Strukturen bei künftigen Epidemien oder Pandemien erreicht werden können, ist nicht erkennbar.
Die Ziele, die der Gesetzentwurf für das BIPAM nennt, sind dabei nicht neu. Es fehlt jedoch an einer Bilanz, woran bislang die Zielverfolgung scheitert und wie und wodurch diese vom BIPAM besser erreicht werden. Es ist nicht erkennbar, welche Instrumente, Strukturen und Verantwortungsebenen konkret unter der neuen Führung eingerichtet werden, um künftig besser aufgestellt zu sein. Eine Sollens-Erklärung und eine auf Freiwilligkeit basierende Zusammenarbeit der entsprechenden Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene reichen nicht aus.
Der Name des neuen Instituts – Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin – signalisiert, dass die Prävention nicht-übertragbarer Krankheiten mindestens schwerpunktmäßig (wenn nicht sogar exklusiv) im medizinischen Versorgungsbereich verortet wird. Damit wird die Zuständigkeit auf rein medizinisch-ärztliche Interventionsebenen verengt; die Ursachen von Krankheiten in gesundheitsschädlichen Lebensverhältnissen werden vernachlässigt. Wird der Name des neuen Instituts Programm, dann dürfte es künftig statt um Primärprävention und die Gestaltung gesunder Lebenswelten um die Krankheitsfrüherkennung und Screenings gehen, wie es aktuell auch der Entwurf für das Gesunde-Herz-Gesetz erahnen lässt.
Mit dieser bislang sich andeutenden nominellen wie programmatischen Engführung der Präventionsagenda der Bundesregierung fallen wesentliche Handlungsfelder von Prävention unter den Tisch: der health-in-all-policies-Ansatz (HIAP), wonach beispielsweise die Verkehrs-, Bau-, Umwelt- und Klimapolitik eine maßgebliche Verantwortung für ein gesundes Leben haben, die Lebensweltenprävention, die die struk-turellen Voraussetzungen von Gesundheitschancen beispielsweise in Kitas, Schulen und Pflegeeinrichtungen in den Blick nimmt, sowie individuelle Verhaltensprävention wie gesunde Ernährung und Bewegung. Wie die Deutsche Gesellschaft für Public Health bemerkt, wird sich damit an den wesentlichen Ursachen von Krankheit und Tod nichts ändern. Denn viele Ursachen für Krankheit und Tod liegen nicht im un-mittelbaren Einflussbereich des medizinischen Versorgungssystems, sondern in gesundheitsschädli-chen Arbeits-, Umwelt- und Lebensbedingungen.
Neben einer Weiterentwicklung der BZgA hatte der Koalitionsvertrag weitere Vorgaben für die Hand-lungsfelder von Prävention und Gesundheitsförderung formuliert. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Legislaturperiode offensichtlich nicht mehr genutzt werden soll, der Vielzahl von dort benannten Themenbereichen beispielsweise der Altersgesundheit, Diabetes, Einsamkeit, Suizid, Wiederbelebung und der Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden gerecht zu werden, geschweige denn eine Präventionsstrategie auszuarbeiten, die der Formulierung des Sondierungspapiers gerecht wird, Prävention zum Leitprinzip der Gesundheitspolitik zu machen. Von derlei Präventionsplänen scheint das BMG abgerückt zu sein.
Angesichts des bereits dramatischen Fachkräftemangels in der Medizin, der demografischen Entwicklung, einer dynamischen Entwicklung der Leistungsausgaben und ungeklärter Finanzierungsfragen, angesichts der strukturellen Defizite in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist diese Einengung auf „Prävention in der Medizin“ fatal. Deutschland braucht nicht mehr Untersuchungen und Behandlungen im ärztlich-medizinischen Kontext, sondern einen Aufbruch in Prävention und Gesundheitsförderung: denn das ist in einer alternden Gesellschaft wie der deutschen der Schlüssel, um den demografisch bedingten Anstieg der medizinischen und pflegerischen Versorgungslasten zumindest zu bremsen. Zudem würde damit auch ein Beitrag zur Finanzierbarkeit des Versorgungssystems geleistet und sein Kollaps infolge des ebenfalls demografisch bedingten Fachkräftemangels verhindert.