Stellungnahme 09. Juli 2024

Statt auf Gesundheitsbildung und ganzheitliche Präventionsansätze setzt das Gesetz auf frühzeitige Medikamentengabe im Kindesalter, die nicht ausreichend evidenzgesichert ist. Neue Screenings sollten durch die zuständigen, unabhängigen Institutionen erarbeitet werden, nicht durch das BMG.

Zusammenfassung

  • Die Private Krankenversicherung (PKV) unterstützt grundsätzlich das Ziel des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die Prävention zu stärken und die Krankheitslast im Herz-Kreislauf-Bereich zu senken. Allerdings zielen die vorgeschlagenen Interventionen aus-schließlich auf die Früherkennung von Krankheitsrisiken und den ärztlich-medizinischen Versorgungsbereich. Verhaltens- und verhältnispräventive Ansätze, welche Veränderungen beim Lebensstil sowie bei den Arbeits-, Umwelt- und Lebensbedingungen bewirken, geraten in den Hintergrund. 
  • Eine Festlegung neuer Vorsorgeuntersuchungen und Screenings durch das BMG mittels Rechtsverordnungen lehnt der PKV-Verband ausdrücklich ab. Der Prüfauftrag und die Bitte um Erweiterung der entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen sowohl für Kinder/ Jugendliche als auch für Erwachsene sollte den zuständigen Institutionen erteilt werden, welche unabhängig und unter Prüfung der verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz und unter Einbeziehung der relevanten Fachgesellschaften eine entsprechende Empfehlung erarbeiten. 
  • Die beabsichtigte Ausweitung der Apothekenleistungen wird in der jetzigen Form abgelehnt, da sie für die PKV und die Beihilfe nachteilig ist. Die PKV fordert eine Mitsprache bei der Leistungsausgestaltung und getrennte Finanzierungstöpfe für gesetzlich und privat Versicherte. Alternativ sind eine Einzelleistungsvergütung und der Abschluss entsprechender Verträge möglich. 
  • Versichertenbezogene Mailings und Einladungen zu Vorsorge- und Betreuungsangeboten zur Verbesserung der Gesundheit müssen auch in der PKV rechtssicher möglich sein. Bedingt durch unterschiedliche Datenschutzaufsichten in den Bundesländern werden derartige Maßnahmen derzeit zum Teil untersagt. Eine gesetzliche Regelung in Bezug auf die Datenverarbeitungsbefugnisse kann hier für Rechtsklarheit sorgen und wird eingefordert. 

I. Allgemeine Anmerkungen

Das Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit soll die Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland senken, indem die Früherkennung und medizinische Prävention gestärkt werden. Die Änderungen sollen in Form von Rechtsverordnungen durch das BMG erfolgen. Im Fokus steht die Früherkennung von zu hohen Cholesterinwerten und insbesondere der familiären, erblich bedingten Hypercholesterinämie. Zu hohe Werte des schädlichen LDL-Cholesterins führen neben weiteren Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes zur Arterio-sklerose, welche die Blutgefäße verengt und ursächlich für Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall ist.

Mit dem Gesetz soll die gezielte Früherkennung insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ausgebaut werden, indem dort ein flächendeckendes Screening auf familiäre Hypercholesterinämie in die Vorsorgeuntersuchung im Rahmen der J1-Untersuchung aufgenommen wird. Bei Erwachsenen soll ebenfalls eine Erweiterung des sogenannte Gesundheits-Check-ups erfolgen, auf den es heute schon einmalig im Alter von 18 bis 35 Jahren und anschließend ab dem Alter von 35 Jahren alle drei Jahre einen gesetzlichen Anspruch gibt. Hier soll es für Erwachsene im Alter von 25, 35 und 50 Jahren eine extra Einladung geben. Die Untersuchungen sollen dann, wie bislang auch, beim Hausarzt oder auch niedrigschwellig in der Apotheke durchgeführt werden können. Daneben sollen Disease-Management-Programme gestärkt und Angebote zur Förderung des Nichtrauchens durch einen gesetzlichen Anspruch auf medikamentöse Raucherentwöhnung ausgebaut werden.

Apotheken sollen verstärkt in die Beratung zur Prävention und Früherkennung einbezogen werden, indem sie Check-ups durchführen und niedrigschwellige Beratungsangebote zu Prävention und Raucherentwöhnung im Rahmen der pharmazeutischen Dienstleistungen initiieren können. Um die Teilnahmeraten zu erhöhen, werden gesetzliche Krankenkassen verpflichtet, zielgruppenspezifi-sche Mailings mit Einladungen zu den entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufzulegen und Gutscheine für die Beratung in Apotheken zu versenden.

Die Private Krankenversicherung (PKV) unterstützt grundsätzlich das Ziel des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die Prävention zu stärken und die Krankheitslast im Herz-Kreislauf-Bereich zu senken. Allerdings zielen die vorgeschlagenen Interventionen ausschließlich auf die Früherkennung von Krankheitsrisiken und den ärztlich-medizinischen Versorgungsbereich. Verhaltens- und verhältnispräventive Ansätze, welche bei Veränderungen des Lebensstils sowie bei den Arbeits-, Umwelt- und Lebensbedingungen ansetzen, geraten in den Hintergrund. Dabei sind dies die wesentlichen Faktoren, wenn es um die Reduktion von Krankheitsrisiken, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, geht. Deren Ursachen gehen vielfach auf vermeintliche Annehmlichkeiten unseres modernen Lebensstils zurück, der durch ein Überangebot an zucker-, salz- und fettreicher Nahrung, häufig Fast-Food, zu wenig Bewegung und zu viel Stress gekennzeichnet ist. Riskantes Suchtverhalten in Bezug auf Alkohol, Nikotin oder andere Drogen kommt hinzu.

Damit vernachlässigt der Gesetzentwurf die Public-Health-Perspektive, nach der ungesunde Verhaltensweisen und ungünstige Lebensbedingungen den Hauptanteil der Erkrankungslast ausmachen und deshalb entsprechend verändert werden sollten.

Im Gesetzentwurf werden Interventionen jedoch ausschließlich im medikamentösen, therapeutischen Versorgungssetting angesiedelt. Gesundheitsbildung und ganzheitliche auf sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Ansätzen beruhende Veränderungsstrategien werden vernachlässigt. Mit dieser Sichtweise fällt das BMG hinter die Errungenschaften der letzten drei Jahrzehnte sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Forschung und Praxis zurück, die in Deutschland aufgebaut wurden. Es werden zudem wichtige Potentiale und Ressourcen verschenkt, weil Akteure wie der Öffentliche Gesundheitsdienst, Schul- und Betriebsärzte, Fachgesellschaften und Verbände, Kranken- und Unfallversicherungen oder Vereinigungen für Gesundheitsförderung nicht eingebunden wurden. Diesen Playern kommt jedoch für die richtige Ausgestaltung und den Erfolg von Präventionsmaßnahmen eine besondere Rolle zu: Sie sind dichter an den Zielgruppen und wissen, wie man diese sozial- und kultursensibel am besten erreicht.

Eine Festlegung durch das BMG mittels Rechtsverordnungen lehnt der Verband der Privaten Krankenversicherung ausdrücklich ab. Die Begründungen und die zeitliche Not, die im Gesetzentwurf für diese Vorgehensweise herangeführt werden, überzeugen nicht. Besser wäre es, den Prüfauftrag und die Bitte um Erweiterung der entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene den zuständigen Institutionen zu erteilen, welche dann unabhängig und unter Prüfung der verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz und unter Einbeziehung der relevanten Fachgesellschaften eine entsprechende Empfehlung erarbeiten.

Es gibt Studien, welche die Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie bereits untersuchen. Allerdings liegen hierfür noch keine aussagekräftigen Nutzennachweise vor, auch wenn die vorläufigen Ergebnisse vielversprechend sind. Der Nutzen eines bevölkerungsweiten Screenings gegenüber einem zielgerichteten Screening bei Risikopersonen ist nicht nachgewiesen. Unstimmigkeiten zeigen sich insbesondere bei der Definition der richtigen Altersgruppe bei Kindern und Ju-gendlichen, welche der Gesetzesentwurf bei den 12-jährigen mit der Jugend-Vorsorgeuntersuchung J1 festmacht. Damit weicht das BMG von den Empfehlungen der Fachgesellschaften ab, die ein Screening im Vorschulalter empfehlen. Gründe hierfür sind zum einen wachstumsbedingte Schwankungen der Cholesterinwerte, die insbesondere im Pubertätsalter sinken und dann zu falsch negativen Ergebnissen führen können. Zum anderen ist die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter höher und die Umsetzung entsprechender Therapieempfehlungen erfolgversprechender als es bei der J1 der Fall ist. Auch für das Kaskadenscreening, das auf die Detektion genetisch bedingter Lipidstörungen der Eltern und naher Verwandter abzielt, ist ein höheres Kindesalter eher nachteilig. Damit geht wertvolle Zeit verloren, da die Angehörigen dann ebenfalls schon älter und möglicherweise selbst bereits erkrankt sind.

Berücksichtigt werden muss ebenso ein zum Beispiel in der VRONI-Studie festgestellter hoher Anteil von Kindern, die zwar erhöhte LDL-Cholesterinspiegel aufweisen, die aber nicht genetisch bedingt sind. Hier gibt es häufig einen Zusammenhang mit ungünstigen Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht oder bereits in der Kindheit vorhandenem Prädiabetes oder Diabetes mellitus Typ 2. Hohe Werte können auch durch Schilddrüsenerkrankungen oder Essstörungen verursacht sein. Wichtig ist daher eine gründliche Abklärung der Ursachen beim Kinderarzt und die gezielte Unterstützung durch entsprechende Präventions- und Beratungsangebote. Eine frühzeitige medikamentöse Behandlung mit Statinen ist für diese Kinder und Jugendlichen dagegen nicht angezeigt.

Die durch das Gesunde-Herz-Gesetz beabsichtigte Ausweitung der Apothekenleistungen lehnt der PKV-Verband in der jetzigen Form ab. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Leistungen sind speziell auf GKV-Versicherte zugeschnitten und schließen privat Versicherte in doppelter Hinsicht aus, weil sie teilweise die Vorlage eines Gutscheins sowie eine elektronische Gesundheitskarte voraussetzen. Die Inhalte der pharmazeutischen Dienstleistungen sollten Gegenstand der Verhandlungen zwischen den Verhandlungspartnern sein und nicht durch den Gesetzgeber definiert werden. Gegenstand der Verhandlungen wäre dann auch, welche Leistungen überhaupt geeignet sind, außerhalb der ärztlichen Versorgung angeboten zu werden.

Mit dem Gesetzentwurf werden Verpflichtungen für die GKV geschaffen, ihre Versicherten sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter gezielt anzuschreiben und auf Vorsorge- und Serviceangebote im Herz-Kreislauf-Bereich hinzuweisen. Auch die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung wollen ihre Versicherten niedrigschwellig und rechtssicher auf Präventions- und Betreuungsangebote zur Verbesserung der Gesundheit hinweisen dürfen. Hierzu müssen für die PKV-Unternehmen gesetzliche Datenverarbeitungsbefugnisse sichergestellt werden, die denen der GKV gleichgestellt sind und entsprechend klar formuliert sind.

Es ist bezeichnend für die aktuell unbefriedigende Situation, dass einzelne Datenschutzaufsichts-behörden individuelle Angebote von PKV-Unternehmen im Bereich des Gesundheitsmanagements konterkarieren, indem sie die Verarbeitung der hierfür erforderlichen Versichertendaten in Frage stellen und zum Teil untersagen. Es kann nicht angehen, dass abweichende Auslegungen einzelner Datenschutzaufsichtsbehörden zu Datenverarbeitungsbefugnissen und damit einhergehende Rechtsrisiken in der PKV aufwändige Prozesse erfordern, die den PKV-Versicherten der Zugang zu wichtigen Bestandteilen eines modernen (digitalen) Gesundheits- und Versorgungsmanagements erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Dies läuft dem Ziel der Bundesregierung zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung zuwider und benachteiligt insoweit große Teil der Bevölkerung. 

II. Zu ausgewählten Regelungen des Gesetzentwurfs

Zu Art. 1 Nr. 2 (§ 25c Abs. 2 S. 5 SGB V-RefE –Erweiterte Leistungen im Rahmen der Gesund-heitsuntersuchungen zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen) sowie zu Art. 1 Nr. 3 lit. b (§ 26 Abs. 3 S. 8 SGB V-RefE – Einladung zu J1-Untersuchungen)

Vorgeschlagene Regelung: 
§ 25c Abs. 2 S. 5 SGB V-RefE bzw. § 26 Abs. 3 S. 8 SGB V-RefE sehen vor, dass die Unternehmen der privaten Krankenversicherung ihren Versicherten ein Einladungswesen zu Gesundheitsuntersuchungen nach § 25 Abs. 1 SGB V, die der Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und -Risiken dienen, beziehungsweise versicherten Jugendlichen ab 12 Jahren ein Einladungswesen für die sogenannte J1-Untersuchung, die für die Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders bedeutsam ist, anbieten können. Ausweislich der Begründung ist es das Ziel der Regelung, dass auf die für die privaten Krankenversicherungsunternehmen bestehende Möglichkeit, ihren Versicherten ein derartiges Einladungswesen anzubieten, hingewiesen werden soll.

Ergänzend wird in der Begründung ausgeführt, dass die Senkung der Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein Ziel für die gesamte Bevölkerung sei. Daraus folgt, dass die Verbesserung der Früherkennung vom individuellen Versicherungsstatus unabhängig ist und auch privat Krankenversicherten angeboten werden sollte.

Bewertung: 
Der PKV-Verband kritisiert grundsätzlich, dass der Gesetzgeber einen Leistungsanspruch zur Früherkennung gesetzlich normiert. Regelungen zu Gesundheitsuntersuchungen für den Bereich der GKV (und damit mittelbar auch für den der PKV) sollten auf der Grundlage der Methoden der evidenzbasierten Medizin erfolgen. Die Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) stellen nicht ohne Grund auf „ambulante Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen“ ab. Die fachliche Bewertung der einzuführenden Programme obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss, in dessen Gremien auch der PKV-Verband teilweise mitwirkt. Es ist die gemeinsame Selbstverwaltung, die am besten auf der Grundlage der Methoden der evidenzbasierten Medizin bewerten kann, ob der Nutzen den Schaden einer neu einzuführenden Maßnahme überwiegt. Eine gesetzliche Einführung hätte zur Folge, dass auch bei einem überwiegenden Schaden die Maßnahme angeboten/erbracht werden könnte. Das wäre unethisch.

Zu begrüßen ist, dass die Versicherten der Privaten Krankenversicherung bei den vorgeschlagenen Regelungen mitgedacht werden. PKV-Unternehmen bieten ihren privat Krankenversicherten und beihilfeberechtigten Kunden bereits umfangreiche Services in Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Dazu zählen beispielsweise Gesundheitsinformationen, die gezielte Unterbreitung von Vorsorgeuntersuchungen und Check-ups, Unterstützung durch Gesundheitslotsen, Coachings zur Lebensstilveränderung, Patientenedukation und Disease Management bei einer Vielzahl von chronischen und akuten Erkrankungen oder Beratung im individuellen Medikamentenmanagement. Der Gesetzgeber hatte der PKV bereits in dem Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts das Leitbild zugrunde gelegt, dass diese nicht mehr auf die reine Kostenerstattung fokussiert ist, sondern als moderner Gesundheitsmanager neue Formen und Methoden zur wirksamen Kostensteuerung bei gleichzeitigem Erhalt beziehungsweise Steigerung der medizinischen Behandlungsqualität anwenden kann. Als Beispiel nennt die Gesetzesbegründung unter anderem ausdrücklich das „Disease Management“, das auch Gesundheitsmanagement- und Vorsorgeangebote erfasst (vgl. u. a. BT-Drs. 16/3945, S. 55).

Um das mit dem vorliegenden Referentenentwurf verfolgte Ziel, die Prävention in der gesamten Bevölkerung über die jeweiligen Grenzen der Kostenträgersysteme hinaus zu fördern, reicht es jedoch nicht aus, hinsichtlich der PKV lediglich auf eine bestehende Möglichkeit der PKV-Unternehmen, ihren Versicherten ein Einladungswesen anzubieten, zu verweisen. Die Neureglungen beseitigen die in der Praxis der PKV-Unternehmen bei präventiven Angeboten bestehenden datenschutzrechtlichen Rechtsunsicherheiten beziehungsweise praktischen Hemmnisse nicht. Angebote der PKV im Bereich des Gesundheitsmanagements erfordern eine korrespondierende Datenverarbeitungsbefugnis der Versicherer. Mangels spezialgesetzlicher Regelung, beispielsweise im SGB V, richten sich Maßstab und Grenzen insoweit nach den allgemeinen, insoweit unspezifischen datenschutzrechtlichen Grundsätzen, insbesondere nach Art. 9 Abs. 2 lit. h DS-GVO i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BDSG.

Allerdings können die Unternehmen der privaten Krankenversicherung u. a. aufgrund der Auslegungsbedürftigkeit des § 22 BDSG nicht hinreichend sicher davon ausgehen, dass (Landes-)Datenschutzaufsichtsbehörden nicht zu (unzutreffenden) abweichenden Auslegungsergebnissen gelangen und zum Beispiel Analysen von Rechnungsdaten für die Unterbreitung individueller Angebote des Gesundheitsmanagements ohne die vorherige Einholung einer entsprechenden ausdrücklichen Einwilligung der Privatversicherten als unzulässig erachten, wie es in jüngster Zeit der Fall war. Daraus folgen langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen mit noch nicht absehbarem Ausgang.  

Diese für die PKV unbefriedigende Situation wird bereits dadurch verschärft, dass der Gesetzgeber entsprechende Datenverarbeitungsbefugnisse der GKV für Gesundheitsmanagementprogramme (Disease Management) ausdrücklich geschaffen hat. Beispielsweise ist nach § 284 Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3 S. 1 SGB V den gesetzlichen Krankenkassen die Erhebung und Speicherung von Daten zur Gewinnung von Versicherten für die Vorbereitung und Durchführung von Gesundheitsmanagementprogrammen ausdrücklich gestattet. Den gesetzlichen Krankenkassen wird damit unter anderem die Möglichkeit eingeräumt, versichertenbezogene Daten zur Identifizierung chronisch Erkrankter auszuwerten (zum Beispiel aus Abrechnungsunterlagen), unter anderem um diese in strukturierte Behandlungsprogramme einbinden beziehungsweise entsprechende Gesundheitsförderungsvorschläge unterbreiten zu können.

Auch in dem jüngst verabschiedeten Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (GDNG) wird nur den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen unter § 25b SGB V (neu) ausdrücklich die Befugnis eingeräumt, datengestützte Auswertungen zum individuellen Gesundheitsschutz ihrer Versicherten vorzunehmen und insoweit ihre Versicherten individuell anzusprechen. Hierzu werden die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen befugt, die bei ihnen vorliegenden personenbezogenen Daten der Versicherten ohne deren Einwilligung automatisiert zu verarbeiten, soweit dies zur Erkennung von potenziell schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken der Versicherten erforderlich und geeignet ist. Die Versicherten können dieser Datenverarbeitung widersprechen.

In dem nun vorliegenden Entwurf des BMG soll den gesetzlichen Krankenkassen unter anderem die ausdrückliche Befugnis erteilt werden, die Versichertendaten zur Durchführung des verpflichtenden Angebotes von Früherkennungsuntersuchungen zu verarbeiten, vgl. § 25c Abs. 2 S. 2 SGB V-RefE bzw. § 26 Abs. 3 S. 4 SGB V-RefE.  

Auch den Privaten Kranken- und Pflegeversicherern liegen vielfältige versichertenindividuelle Daten vor, in denen Informationen über medizinisch und pflegerisch relevante Sachverhalte enthalten sind. Diese Daten können und sollten ebenfalls zur Erkennung und Vermeidung von potenziell schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken genutzt werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Privatversicherte nicht im gleichen Umfang Zugang zum individuellen Gesundheitsschutz und -management wie GKV-Versicherten haben sollten.

Änderungsvorschlag: 
Auf die gesetzliche Einführung von Leistungen im Rahmen der Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte verzichtet werden.

Davon unabhängig ist sicherzustellen, dass für die PKV ausreichende und ausreichend klare gesetz-liche Datenverarbeitungsbefugnisse für Gesundheitsdaten im Rahmen von Gesundheitsmanagementangeboten bestehen. Ergänzend zum bereits vorgesehenen Einladungswesen der PKV sind insoweit ausdrückliche Datenverarbeitungsbefugnisse für die PKV zu schaffen.

Zumindest sollte der Gesetzgeber jedoch faktischen Restriktionen infolge von Rechtsunsicherheiten durch unterschiedliche Auslegungen der für die PKV maßgeblichen datenschutzrechtlichen Erlaubnisnormen durch gesetzliche Klarstellungen begegnen. Um die datenschutzrechtliche Rechtssicherheit für das Angebot und die Durchführung individueller Gesundheitsförderungs- und Präventionsprogramme für alle Privatversicherten zu ermöglichen, sollte § 22 BDSG als datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm unter Abs. 1 Nr. 1 lit. b wie folgt klarstellend ergänzt werden:

§ 22 Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten
(1) Abweichend von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 ist die Verarbeitung be-sonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 zulässig
1. durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen, wenn sie
(…)
b) zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich, für die Erkennung von Gesundheitsrisiken sowie darauf aufbau-end das Angebot und die Durchführung von Gesundheitsmanagementprogrammen durch Unternehmen der privaten Krankenversicherung oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- und Sozialbereich oder aufgrund eines Vertrags der betroffenen Person mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs erforderlich ist und diese Daten von ärztlichem Personal oder durch sonstige Personen, die einer entsprechenden Geheimhal-tungspflicht unterliegen, oder unter deren Verantwortung verarbeitet werden, (…)

In redaktioneller Hinsicht merken wir ergänzend an, dass § 26 Abs. 3 S. 8 SGB V-RefE auf Satz 1 dieses Absatzes verweist. Da nach der Änderungsanordnung zu Art. 1 Nr. 3 lit. b dem aktuell bereits bestehenden § 26 Abs. 3 SGB V die im Referentenentwurf vorgesehenen Sätze ergänzt werden sollen, müsste § 26 Abs. 3 Nr. 8 SGB V RefE auf Satz 3 verweisen. Entsprechendes gilt für die Begründung des Referentenentwurfs (S. 37).

Zu Art. 1 Nr. 7 (§ 129 Abs. 5e SGB V- Pharmazeutische Dienstleistungen)

Vorgeschlagene Regelung:
Die neuen Regelungen in § 129 Abs. 5e SGB V-RefE zielen darauf ab, zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen zur Stärkung der Herzgesundheit und zur Prävention tabakassoziierter Erkrankun-gen einzuführen. Diese Dienstleistungen umfassen verschiedene (jährliche) Beratungen und Messungen von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus sowie zur Prävention von tabakassoziierten Erkrankungen. GKV-Versicherte erhalten von ihrer Krankenkasse einen Gutschein für Beratungen und Messungen der Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und andere Risikofaktoren sowie zur Bestimmung von Blutwerten und Blutdruck, welcher in der Apotheke eingelöst werden kann. Hierfür ist das Vorliegen einer elektronischen Gesundheitskarte notwendig. Die Bundesapothekerkammer entwickelt eine Standardarbeitsanweisung für die Dienstleistungen. Zusätzlich soll die bestehende Vereinbarung um die Vergütung und Abrechnung der neuen Dienstleistungen erweitert werden.

Bewertung:
Die Änderungen in § 129 Abs. 5e SGB V-RefE verändern die Systematik und den Regelungsinhalt der pharmazeutischen Dienstleistungen. Sie bringen Nachteile für privat krankenversicherte Personen mit sich. Die Anspruchsvoraussetzungen für die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen zur Stärkung der Herzgesundheit werden nun vom Gesetzgeber konkret in § 129 Abs. 5e S. 5 SGB V-RefE festgelegt. Bei den bisherigen pharmazeutischen Dienstleistungen waren die Rahmenvertragspartner (GKV-SV und DAV im Benehmen mit dem PKV-Verband) beauftragt, die pharmazeutischen Dienstleistungen nach Art, Umfang und Vergütung näher zu definieren. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen sind speziell auf GKV-Versicherte zugeschnitten und schließen privat Versicherte in doppelter Hinsicht aus.

Sie setzen zum einen (teilweise) die Vorlage eines Gutscheins nach § 25c Abs. 2 S. 4 Nr. 1 SGB V-RefE sowie die elektronische Gesundheitskarte voraus. PKV-Versicherte erfüllen diese Voraussetzungen derzeit nicht. § 129 Abs. 5e S. 5 Nr. 3 SGB V-RefE ist für PKV-Versicherte nicht anwendbar. Des Weiteren ist die Finanzierung der Dienstleistungen bei Inanspruchnahme durch PKV-Versicherte nach der aktuellen Fassung des § 129 Abs. 5e S. 9 und 10 SGB V-RefE nicht gesichert. Dies folgt aus der neuen Gesetzesformulierung, die in Änderungen am bisherigen Verfahren für die pharmazeutischen Dienstleistungen resultiert.

Die Vereinbarung der aktuellen pharmazeutischen Dienstleistungen erfolgte gemäß § 129 Abs. 5e Satz 4 SGB V (nun Satz 9) zwischen dem GKV-SV und dem DAV im Benehmen mit dem PKV-Verband als Anlage 11 zum Rahmenvertrag nach § 129 SGB V. Darin wurden die Anspruchsvoraussetzungen, die Vergütungshöhe sowie die Abrechnungsmodalitäten über den Nacht- und Notdienstfonds gere-gelt. Gemäß dem neuen Satz 10 sind die Anspruchsvoraussetzungen dagegen nicht mehr explizit als Regelungsgegenstand aufgeführt. In der eben genannten Vereinbarung sollen lediglich die Vergütungshöhe der erbrachten Dienstleistungen sowie deren Abrechnung vereinbart werden. Dies führt zu einer Benachteiligung der PKV-Versicherten, denn die Anspruchsvoraussetzungen müssen jedenfalls für die jährlichen Leistungen nach § 129 Abs. 5e S. 5 Nr. 1 und 2 SGB V-RefE zwingend in der Vereinbarung geregelt werden können, um PKV-Versicherten die Inanspruchnahme der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen zu ermöglichen. Sofern die Abrechnung der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen wie bisher über den Nacht- und Notdienstfonds erfolgt, würden PKV-Versicherte andernfalls mit dem Zuschlag, derzeit i.H.v. 20 Cent je abgegebenem Fertigarzneimittel (§ 3 Abs. 1 S. 1 AMPreisV), Leistungen für GKV-Versicherte quer finanzieren, ohne solche Leistungen selbst auf dieselbe Weise in Anspruch nehmen zu können. Das wird entschieden abgelehnt.

Zudem ist zu bedenken, dass die Ergänzungen an der Vereinbarung nach der aktuellen Formulierung in dem neuen Satz 10 nicht im Benehmen mit dem PKV-Verband zu erfolgen haben. Dieser Satz 10 sieht vor, dass „die Vereinbarungspartner nach Satz 9 das Nähere“ zu den neuen Dienstleistungen vereinbaren müssen. Vereinbarungspartner in diesem Sinne sind jedoch lediglich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) und der Deutsche Apothekerverband e.V. (DAV). Die Vereinbarung stellt eine Anlage zum Rahmenvertrag nach § 129 SGB V dar, der zwischen dem GKV-SV und dem DAV abgeschlossen wird. Der PKV-Verband ist daher kein Vereinbarungspartner nach Satz 9. Dies führt zu einer Unklarheit hinsichtlich der Benehmensherstellung durch den PKV-Verband. Dabei dürfte es sich um ein redaktionelles Versehen handeln, da nach der Begründung des Referentenentwurfs (Seite 41) die Vereinbarungspartner eine Vereinbarung abzuschließen haben, „die die bisherigen Vereinbarungen ergänzt.“ Zu der bisherigen Vereinbarung hat der PKV-Verband das Benehmen hergestellt. Nach dem aktuellen Wortlaut ist dies jedoch nicht vorgesehen. Das redaktionelle Versehen muss somit dringend mit dem untenstehenden Vorschlag behoben werden.

Neben der Tatsache, dass privat Versicherte bei der Inanspruchnahme von pharmazeutischen Dienstleistungen gegenüber gesetzlich Versicherten deutlich unterrepräsentiert und folglich benachteiligt sind, zeigen die vorstehenden regulatorischen Friktionen die Notwendigkeit auf, die Abrechnung der pharmazeutischen Dienstleistungen für gesetzlich und privat Versicherte getrennt zu organisieren. Es sollten mithin zwei unterschiedliche Abrechnungswege für GKV- und PKV-Versicherte eingerichtet werden.

Alternativ könnte der Mechanismus für die Finanzierung der pharmazeutischen Dienstleistungen gänzlich umgestellt werden. Hintergrund ist, dass pharmazeutische Dienstleistungen weder von den Apothekern angeboten noch von den Versicherten nachgefragt werden. Jedenfalls verwahrt der Nacht- und Notdienstfonds nicht abgerufene Versichertengelder im dreistelligen Millionenbereich für pharmazeutische Dienstleistungen, die den Versicherten beziehungsweise den Krankenversicherungsträgern zustehen.

Grundsätzlich sollten Private Krankenversicherungsunternehmen beziehungsweise der PKV-Verband selbst darüber entscheiden können, ob und welche pharmazeutische Dienstleistungen über entsprechende Vereinbarungen mit dem Deutschen Apothekerverband angeboten werden.  

Änderungsvorschlag:
Bzgl. § 129 Abs. 5e SGB V werden folgende Änderungen vorgeschlagen:

Im neuen Satz 9 werden die Wörter „Sätzen 1 bis 4“ durch die Wörter „Sätzen 1 bis 5“ ersetzt. Der neue Satz 10 wird gestrichen. In den darauffolgenden Sätzen werden die Worte „Satz 10“ durch „Satz 9“ ersetzt.