I. Allgemeine Bewertung
Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 zur Richterbesoldung in Berlin (Beschluss vom 04.05.2020 – Az. 2 BvL 4/18) sowie zur Alimentation von Richtern und ihren Familien mit mehr als zwei Kindern in Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 04.05.2020 – Az. 2 BvL 6/17) entschieden, dass der erforderliche Abstand der Alimentation zur Grundsicherung unterschritten wird und die Anforderungen an eine amtsangemessene Alimentation des Beamten und seiner Familie mit mehr als zwei Kindern nicht er füllt werden. Diese Rechtsprechung, die insbesondere auf die amtsangemessene Alimentation von Beamtinnen und Beamten der unteren Besoldungsgruppen und mit Kindern abzielt, nimmt das Bundesministerium des Innern und für Heimat mit dem oben genannten Gesetzentwurf zum Anlass, das Besoldungsgefüge des Bundes anzupassen.
Die vorgeschlagene Umsetzung erfolgt dabei aber nicht nur im Bereich der Besoldung. Stattdessen wird – zu Lasten der Privaten Krankenversicherung – in das bewährte Nebeneinander von Beihilfe und beihilfekonformer privater Krankenversicherung eingegriffen. Um die bei der Besoldung zu berücksich-tigenden Beiträge zur Privaten Krankenversicherung abzusenken, werden mit dem Gesetzentwurf die aus dem Bundeshaushalt zu finanzierenden Beihilfeleistungen bei Krankheit erheblich ausgedehnt. Die Beihilfebemessungssätze für die berücksichtigungsfähigen Angehörigen werden um mehr als 25 Prozent von 70 auf 90 Prozent gesteigert. Die Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes für einen Beihilfeberechtigten mit Kindern wird bereits ab dem ersten Kind auf 70 Prozent (bisher erst ab zwei Kindern) gesteigert.
Die geplante Erhöhung der Beihilfebemessungssätze für sämtliche Bundesbeamten ist nicht zielgenau. Es profitieren von dieser Ausdehnung der Beihilfeleistungen auch Beamte in höheren Besoldungsstufen, ohne dass dies vom Bundesverfassungsgericht eingefordert worden wäre. Beispiele aus den Bundesländern zur Umsetzung der Rechtsprechung zeigen dagegen, dass passgenau die vom Ge-richt eingeforderten Entlastungen bei den unteren Besoldungsstufen erreicht werden können, unter anderem durch erhöhte kindbezogene Familienzuschläge, Zuschüsse zur Privaten Krankenversicherung etc..
Die Neuregelung schränkt die verfassungsrechtlich garantierte Vorsorgefreiheit der Beamten für sich und ihre Kinder erheblich ein, indem insbesondere für die Angehörigen des Beamten eine „90prozentige“ Abhängigkeit vom Beihilfesystem geschaffen wird. Besonders kritisch ist diese Ände-rung für die bei der Beihilfe zu berücksichtigenden Ehegatten und Lebenspartner des beihilfeberechtig-ten Beamten. Denn die Neuregelung schränkt den Aufbau einer eigenen, kapitalgedeckten Privaten Krankenversicherung mit Alterungsrückstellung massiv ein. Bei einem Versicherungsschutz von 10 Prozent findet nur noch in sehr geringem Umfang Vorsorge für die erhöhten Kosten im Alter statt. Dies hat zur Folge, dass bei einem späteren Wechsel aus dem Beihilfesystem heraus extrem hohe Kosten für eine Nachversicherung in der Privaten Krankenversicherung anfallen. Dies ist etwa der Fall bei Scheidung vom Beihilfeberechtigten oder bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, deren Einnahmen oberhalb der Einkommensgrenzen des Beihilfesystems liegen. Die Angehörigen werden damit einer extremen Abhängigkeit vom Beihilfesystem ausgesetzt bzw. in ihren eigenen Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Dies wird modernen (Erwerbs-)Biografien nicht gerecht.
Durch die deutliche Erhöhung der Beihilfebemessungssätze gerät die Gesundheitsversorgung der Be-amtinnen und Beamten, ihrer Kinder und Angehörigen überdies in zunehmende Abhängigkeit vom Bundeshaushalt. Sollte in Zeiten einer schwierigen Haushaltslage die Beihilfebemessungssätze wieder gesenkt werden müssen, wird dies mit nicht unerheblichen Kosten für die Beamten und ihre Angehörigen verbunden sein, da sie insbesondere den Aufbau von Alterungsrückstellungen für viele Jahre nachholen müssen.
Schließlich ist die Umsetzung nicht generationengerecht und nicht nachhaltig. Sie sorgt dafür, dass weniger Absicherung in der kapitalgedeckten Privaten Krankenversicherung erfolgt. Zugleich werden mit der Ausdehnung der Beihilfeleistungen angesichts der mit dem Alter und aufgrund des medizinischen Fortschritts steigenden Kosten für die Versorgung bei Krankheit zukünftige Lasten für den Bun-deshaushalt begründet. Für diese Lasten bildet der Bund keine Vorsorgerücklage. Die mit dem kapitalgedeckten System der Privaten Krankenversicherung verbundenen Vorteile von Kapitalerträgen bleiben bei der Finanzierung damit ungenutzt. Stattdessen werden allenfalls kurzfristige Einsparungen mit zukünftigen, ungedeckte Lasten für die Beihilfeaufwendungen des Bundes begründet. Angesichts des demografischen Wandels auch im Personalbestand des Bundes wäre es richtig, mehr Eigenvorsorge durch die Beamten zu fördern und damit mehr Kapitaldeckung nutzbar zu machen.