Position

Die Bundesregierung plant den Aufbau von Gesundheitskiosken in sozial benachteiligten Regionen. In diesen neuen Einrichtungen sollen Patientinnen und Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf in Gesundheitsfragen beraten und besser durch das Gesundheits- und Sozialsystem gelotst werden.

Dr. Anke Schlieker, Projektleiterin Gesundheitsversorgung beim PKV-Verband

Die Kosten für die Gesundheitskioske sollen mehrheitlich von den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen aufgebracht werden, während sich Kommunen nur im geringen Umfang beteiligen. Warum es besser ist, bestehende Angebote effizient zu bündeln und zusammenzuführen, statt dem bereits hochkomplexen System eine weitere Säule hinzuzufügen, erläutert Dr. Anke Schlieker, Projektleiterin Gesundheitsversorgung beim PKV-Verband:

Was Gesundheitskioske leisten sollen

Hauptaufgabe der Kioske soll die Beratung zu Leistungen des Gesundheits- und Sozialsystems, die Bedarfsermittlung und die Vermittlung in entsprechende Angebote sein. Dabei geht es beispielsweise um medizinische Behandlung, um Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsförderung, aber auch staatliche Unterstützung bei sozialen Angelegenheiten wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung oder bei Familienfragen. Im konkreten Einzelfall sollen die erforderlichen Gesundheits- und Sozialleistungen koordiniert und die Ratsuchenden beim Ausfüllen der Anträge, der Weiterleitung an die jeweiligen Institutionen und deren Inanspruchnahme angeleitet werden. Eine Besonderheit stellt dabei die Beratung in Fremdsprachen, neben Englisch und Französisch beispielsweise auch Türkisch, Russisch, Arabisch oder Persisch dar. Auch einfache medizinische Routineaufgaben, wie z.B. Blutdruck und Blutzucker messen, Verbandswechsel, Wundversorgung und subkutane Injektionen sollen durch das Fachpersonal im Gesundheitskiosk erledigt werden. Dies sollen examinierte Pflegefachkräfte, etwa Gesundheits-, Kinder- oder Altenkrankenpflegerinnen und -Pfleger mit Heilkundekompetenz sein.

Koordination als Kernauftrag

Die Koordination erforderlicher Gesundheitsleistungen und die Bildung eines sektorenübergreifenden Netzwerkes sollen die Kernaufträge der neuen Gesundheitskioske sein. Hierbei wird eine enge Kooperation mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) angestrebt. Zudem soll eine Vernetzung mit anderen Beratungs- oder Servicestellen, etwa den Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung, Angeboten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, der unabhängigen Patientenberatung, von Selbsthilfegruppen und anderen mehr sichergestellt werden. Auch auf die Beratung anderer Sozialversicherungsträger, etwa der Pflegeversicherung und der Pflegestützpunkte oder der privaten Pflegeberatung compass soll hingewiesen werden. Kommunale Strukturen sollen einbezogen und vorhandene Ressourcen sinnvoll genutzt werden, etwa zu Jugendämtern, Familienzentren, Integrationszentren, Ämtern für Familie und Jugend, Ämtern für Soziale Dienste, Koordinierungs- und Integrationsstellen, Beratungsangeboten zur „gesundheitlichen Chancengleichheit“, zu Stadtteil-/Quartiersmanagementbüros sowie dem Netzwerk Frühe Hilfen.

„Anstatt Strukturen zu straffen wird mit dem geplanten Gesundheitskiosk-Gesetz die Bürokratie noch weiter aufgebläht. Besser ist es, den öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken und dort die Angebote zu bündeln, so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist.“

Dr. Anke Schlieker, Projektleiterin Gesundheitsversorgung beim PKV-Verband

Zielführender ist eine Bündelung der Angebote und die Nutzung der Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, dessen Stärkung sich die Koalition vorgenommen hat. Der Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst sieht die Schaffung von 1.500 neuen Stellen und finanzielle Mittel in Höhe von 4 Mrd. Euro vor, die für die digitale Infrastruktur, die Vernetzung der Gesundheitsämter auf lokaler, landes- und bundesweiter Ebene sowie die Bereitstellung übergreifender und gemein-samer Kommunikationsplattformen genutzt werden können. Die Projektlaufzeit ist zunächst bis 2026 angedacht und die Gesundheitsämter sind mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit mitten in der Umsetzung. Insofern ist es folgerichtig, diese Entwicklung weiter positiv voranzutreiben, anstatt mit den Gesundheitskiosken ganz ohne Not ein weiteres Handlungsfeld aufzumachen.

Das falsche Signal

Insofern ist es fraglich, weshalb nun unter Zeitdruck und ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept eine weitere neue Struktur in unserem Gesundheits- und Sozialwesen geschaffen werden soll. Zudem fokussieren viele der für die Kioske vorgesehenen Beratungs- und Vermittlungsaufgaben auf das staatliche Hilfesystem und stellen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf kommunaler Ebene dar, die aus Steuermitteln zu zahlen sind.

Viele der Aufgaben haben mit der Unterstützung von Geflüchteten zu tun. Mit der nun beabsichtigten Kostenverschiebung entledigt sich der Bund damit auch seiner finanziellen Verantwortung für die Integration der Geflüchteten und überwälzt diese Kosten auf die Versicherten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Angesichts des hohen Kostendrucks im Gesundheitswesen, der zu GKV-Beitragssätzen in Rekordhöhe und im kommenden Jahr zu einer Überschreitung der „magischen“ 40 Prozent Marke für die Sozialversicherungsbeiträge führen wird, ist das das falsche Signal.

Bislang Modellprojekt, kein Gesamtkonzept und kein Nutzennachweis

Gesundheitskioske gibt es als Modellvorhaben bereits in Hamburg und Nordrhein-Westfalen, seit kurzem auch in Thüringen. Welche Leistungen dort genau erbracht werden, ist nicht einheitlich geregelt, sondern obliegt der jeweiligen Region und den dort verantwortlichen Projektpartnern. Ein Gesamtkonzept über die Rolle von Gesundheitskiosken im deutschen Gesundheitssystem gibt es bislang nicht. Ebenso fehlt es am Nachweis der Effizienz und Wirksamkeit, eine aussagekräftige Evaluation liegt nicht vor.