Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung Schleswig-Holstein zur Fortentwicklung dienstrechtlicher Vorschriften (Drucksache 20/1152).
- Der Gesetzentwurf der Landesregierung entspricht weder der Vereinbarung im Koalitionsvertrag noch kommt er dem vom Parlament beschlossenen Antrag „Besondere Situation in der Krankenversicherung berücksichtigen“ (Drs. 20/160(neu)) nach: Der Gesetzentwurf orientiert sich nicht an den definierten Fallgruppen – späte Verbeamtung, Krankheit oder besondere Familiensituation –, sondern bietet faktisch allen freiwillig gesetzlich versicherten Beamtinnen und Beamten die pauschale Beihilfe an, auch wenn diese nicht zu den genannten Fallgruppen gehören.
- Die vorgeschlagene Methodik des Gesetzentwurfs – für den Vergleich zwischen GKV und PKV, den PKV-Basistarif im Verhältnis zur einkommensabhängigen GKV zu betrachten – macht die pauschale Beihilfe in Schleswig-Holstein zum Regelfall.
- Die Bezugnahme auf den Basistarif ist systematisch falsch und nicht bedarfsgerecht. Der Basistarif ist ein überdurchschnittlich teurer Sozialtarif, der in der realen Absicherung der Beihilfeberechtigten und ihrer Familien so gut wie keine Rolle spielt. Ein Vergleich zwischen den Versicherungssystemen GKV und PKV sollte ausschließlich auf Basis der bedarfsgerechten beihilfekonformen PKV-Restkostentarife erfolgen. Dies wäre auch ein Gebot des fairen Wettbewerbs.
I. Vorbemerkung - tatsächliche wirtschaftliche Belastung der Beamtinnen und Beamten
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf plant die Landesregierung Schleswig-Holstein die Umsetzung des Koalitionsvertrages, wonach GKV-versicherte Beamtinnen und Beamte in bestimmten Fallkonstellationen (späte Verbeamtung, Krankheit oder besondere Familiensituation) auf Antrag einen Arbeitgeberzuschuss in Form einer pauschalen Beihilfe erhalten können. Es wird vorgeschlagen, auf Antrag den Beitrag jedes Beamten und seiner berücksichtigungsfähigen Angehörigen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit der Gesamtbeitragshöhe eines Schutzes in der Privaten Krankenversicherung (PKV) zu vergleichen.
Zur Ermittlung der Beitragshöhe in der PKV wird der Basistarif herangezogen. Ein Zuschuss soll auf Antrag freiwillig gesetzlich krankenversicherten Beamten und Versorgungsempfängern gewährt werden, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung der Wechsel in den Basistarif der PKV finanziell von Nachteil oder nicht möglich ist.
Der Vorschlag der Landesregierung entspricht weder der Vereinbarung im Koalitionsvertrag noch kommt er dem vom Parlament beschlossenen Antrag der Regierungsfraktionen „Besondere Situation in der Krankenversicherung berücksichtigen“ (Drs. 20/160(neu)) nach: Der Gesetzentwurf orientiert sich nicht an den definierten Fallgruppen, sondern bietet faktisch allen Beamtinnen und Beamten die pauschale Beihilfe an, auch wenn diese nicht zu den vereinbarten Fallgruppen gehören.
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Belastung der Beamten sind die Angaben in der Gesetzesbegründung zu den Kosten einer Versicherung in der PKV, insbesondere im Basistarif, zum Teil unzutreffend, unvollständig und im Ergebnis irreführend.
Unzutreffend sind die in der Begründung genannten Prämien für die Absicherung der Musterfamilie mit Zugangsalter 30 Jahre im Basistarif. Die Begründung nennt 615 €. Der Betrag ist deutlich zu hoch. Tatsächlich beträgt die Prämie zur Absicherung der Musterfamilie im Basistarif 420 €. Die Begründung vermittelt so einen falschen Eindruck über den in der Kombination von PKV und Beihilfe erforderlichen Aufwand, um die im Basistarif abgebildeten Leistungen der GKV abzusichern.
Vollkommen ausgeblendet wird darüber hinaus die wirtschaftliche Belastung des Beamten durch eine Absicherung in den beihilfekonformen PKV-Normaltarifen. Diese stehen aufgrund der Öffnungsaktionen allen neuverbeamteten Personen offen und begründen zudem einen Versicherungsschutz deutlich oberhalb des GKV-Niveaus. Nach Maßgabe der Durchschnittsbeiträge aller tatsächlich bestehenden Tarife, die von der Landesregierung auch bei der Bemessung der Besoldung berücksichtigt werden, ergibt sich hier ein durchschnittlicher Aufwand für die Musterfamilie mit Zugangsalter 30 Jahre von 383 €. Vollständig und sachlich zutreffend ergibt sich damit nachfolgendes Bild. Es belegt, dass der Entwurf von falschen Prämissen ausgeht.
Besoldungsgruppe A6 m. D. (Jahreseinkommen 37.820,84 € brutto) | Besoldungsgruppe A9 g. D. (Jahreseinkommen 42.533,36 € brutto) | Besoldungsgruppe A13 h. D. (Jahreseinkommen 59.966 € brutto) | ||
Basistarif PKV (lt. GE, S. 22) | 615,20 €/Monat | 615,20 €/Monat | 615,20 €/Monat | |
Basistarif PKV tatsächlich | 420 €/Monat | 420 €/Monat | 420€/Monat | |
PKV-beihilfekonformer Normaltarif |
| 383 €/Monat | 383 €/Monat | |
Freiwillige GKV (lt. GE, S. 22) | 482,22 €/Monat | 542,22 €/Monat | 740,14 €/Monat |
II. Bewertung
1. Verfehlter Vergleichsmaßstab im Gesetzentwurf
Der vorgeschlagene Weg des Beitragsvergleichs von GKV-Beitrag und PKV-Beitrag im Basistarif entspricht weder der Umsetzung des Koalitionsvertrages noch des Landtagsbeschlusses vom 31. August 2022 zum Antrag der Koalitionsfraktionen „Besondere Situationen auch in der Krankenversicherung berücksichtigen“ (Drs. 20/160(neu)). Er macht die pauschale Beihilfe in Schleswig-Holstein nicht zur Ausnahme für bestimmte Fallkonstellationen, sondern zur Regel. Grund dafür ist eine ungeeignete Methodik, die der Entscheidung über die Auszahlung eines Arbeitgeberzuschusses zugrunde gelegt wird, denn der PKV-Basistarif ist kein geeigneter Maßstab, um die wirtschaftliche Belastung des Beamten zu ermitteln.
Der Basistarif unterscheidet sich deutlich von den anderen Tarifen in der Privaten Krankenversicherung. Als ein gesetzlich ausgestalteter Sozialtarif ist er 2009 im Zuge der Pflicht zur Versicherung vor allem zur Absicherung von bislang nicht versicherten Personen und von Personen, die hilfebedürftig im Sinne des Sozialrechts sind, eingeführt worden. Der Basistarif ist für diese Personen ein Auffangtarif, der weder in der Kalkulation noch in der Ausgestaltung mit Normaltarifen der PKV vergleichbar ist. Wer sozial hilfebedürftig ist, zahlt einen reduzierten Beitrag. Dadurch ermöglicht der Basistarif Versicherungsschutz für jeden, ist aber auch ein teurer Schutz: Der Beitrag zum Basistarif ist entsprechend auf den Höchstbeitrag der GKV begrenzt und beläuft sich seit 1. Januar 2023 auf 807,98 Euro pro Monat. Der Basistarif ist für die Absicherung von Beamten und ihren Familien nicht bedarfsgerecht und spielt für sie dementsprechend in der Realität so gut wie keine Rolle: Insgesamt gibt es in Deutschland rund 1,7 Millionen Beamte und Richter, von denen über 90 Prozent Beihilfe beziehen. Demgegenüber stehen rd. 5.700 beihilfeberechtigte Versicherte im Basistarif.
Durch den Vergleich auf Grundlage des Basistarifs, der sich am Höchstbeitrag der GKV orientiert und damit in den absolut meisten Fällen teurer ist als die einkommensabhängige Absicherung in der GKV, wird die Ausnahme der Zahlung einer pauschalen Beihilfe, die der Koalitionsvertrag nur für bestimmte Fallkonstellationen vorgesehen hat, die Regel. In der Konsequenz wird der Kreis der Beamten, die die pauschale Beihilfe beziehen, weit über die benannten Fallgruppen ausgedehnt – mit allen Nachteilen für die Beamten selbst, insbesondere mit ihrem Status eines freiwillig gesetzlich Versicherten im Alter (insb. Verbeitragung weiterer Einkommensarten), und vor allem für den Landeshaushalt.
Die Absicherung von Beamten und deren Familienangehörigen im Basistarif ist grundsätzlich nicht bedarfsgerecht, da aufgrund der Öffnungsaktionen für alle Beamten und deren Familienangehörigen eine Aufnahmegarantie in beihilfekonformen Restkostentarifen besteht. Die große Mehrheit der Beamten ist in solchen Tarifen versichert. Der Beamte könnte problemlos das Angebot für einen solchen Tarif einholen und seinem Dienstherrn für einen Beitragsvergleich vorlegen. Der Dienstherr kommt nur dann der Aufklärungspflicht gegenüber seinen Beamten nach, insofern er ihnen die tatsächlichen PKV-Beiträge für seine Entscheidung zugänglich macht. Die in der Gesetzesbegründung genannten Angaben sind insoweit irreführend und genügen diesen Maßgaben nicht.
Petitum: Die Bezugnahme auf den Basistarif, der sich am GKV-Höchstbeitrag orientiert und damit in den absolut meisten Fällen teurer ist als die einkommensabhängige Absicherung in der GKV, macht die pauschale Beihilfe in Schleswig-Holstein nicht zur Ausnahme für bestimmte Fallkonstellationen, sondern zum Regelfall. Die im Koalitionsvertrag und im Parlamentsbeschluss konkret angelegten Fallgruppen für den Bezug des Arbeitgeberzuschusses – späte Verbeamtung, Krankheit oder besondere Familiensituation – sollten sich zielgenau in der gesetzlichen Regelung niederschlagen.
Im wohlverstandenen Eigeninteresse der Beamtin bzw. des Beamten sollte von dem irreführenden Vergleich des GKV- und PKV-Beitragsniveaus auf Grundlage des PKV-Basistarifs Abstand genommen werden. Der Basistarif ist der falsche Referenzmaßstab. Für jeden Beamten und seine Familie stehen PKV-Restkostentarife zur Verfügung. Der Beamte sollte ein solches Angebot seinem Dienstherrn vorlegen, das dann mit einer Versicherung in der GKV verglichen werden kann. Die pauschale Beihilfe wird dann gewährt, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung die Absicherung in einem PKV-Restkostentarif finanziell von Nachteil ist.
2. Zur pauschalen Beihilfe im Allgemeinen
Beamte haben im Krankheitsfall einen Anspruch auf Beihilfe als Teil der vom Dienstherrn geschuldeten Versorgung im Krankheits- und Pflegefall. Der Dienstherr übernimmt dann mindestens 50 Prozent der Behandlungskosten. Die Restkosten werden über einen Beihilfetarif der Privaten Krankenversicherung abgesichert. Von der Beihilfe nicht umfasste Leistungen (etwa hochwertiger Zahnersatz, Einzelzimmer im Krankenhaus) können durch private Beihilfeergänzungstarife abgesichert werden. Diese Kombination aus Beihilfe und PKV sichert den Beamten ein hohes Versorgungsniveau und zugleich die Möglichkeit, nach individuellem Bedarf vorzusorgen.
Dessen ungeachtet eine pauschale Beihilfe einführen zu wollen, kann weder im Interesse der Beamten selbst, der Steuerzahler noch der öffentlichen Haushalte sein:
- Die Einführung der pauschalen Beihilfe hat ideologische Motive: die Realisierung der Bürgerversicherung. Laut Friedrich-Ebert-Stiftung ist ein Weg zur Bürgerversicherung, dass sich mehr Beamte in der GKV versichern. Die Vorteile des dualen Krankenversicherungssystems bleiben unberücksichtigt.
- Das Hamburger Modell lässt sich durch keinen sozialen Absicherungsbedarf begründen: Die Kombination von Beihilfe und beihilfekonformer Privater Krankenversicherung steht allen Beamten zur Verfügung. Aufgrund der PKV-Öffnungsaktionen haben beihilfeberechtigte Beamte und ihre Angehörigen – auch bei Vorerkrankungen oder Behinderungen – eine Aufnahmegarantie in der PKV mit einem begrenzten Risikozuschlag von max. 30 Prozent und ohne Leistungsausschlüsse.Privatversicherte Beamtinnen und Beamte mit Kindern erhalten in Schleswig-Holstein für ihre Kinder eine Beihilfe von 80 Prozent (ab drei Kindern jeweils 90 Prozent) und müssen die restlichen 20 Prozent (bzw. 10 Prozent) über eine PKV abdecken. Die Beiträge sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Besoldung zu berücksichtigen. Die einkommensabhängigen Beiträge der GKV sind auch insoweit verfehlt. Die PKV-Beiträge werden bei der Besoldung berücksichtigt. Es leuchtet daher nicht ein, dass gleichwohl die Versicherung in einem System mit einkommensabhängigen Beiträgen gefördert wird. Hinzu kommt, dass die Beamten die Beiträge zur PKV in der Regel bis zu 80 Prozent steuermindern geltend machen können.
- Dem Steuerzahler werden ohne Not erhebliche finanzielle Mehrbelastungen aufgebürdet; und das in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte und gleichzeitigem Investitionsdruck in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung und Klima. Es werden nachgewiesenermaßen hohe Kostenrisiken in Kauf genommen: Die Landesregierung Baden-Württemberg rechnet auch bei den neu hinzukommenden Beamten insgesamt mit erheblichen Mehrausgaben für den Landeshaushalt. Und sie bestätigt: „In Pflegefällen und in Fallkonstellationen, in denen eine ergänzende Beihilfe notwendig ist, um dem Mindestmaß an verfassungsrechtlicher Fürsorgepflicht gerecht zu werden, wird der Dienstherr auch weiterhin – zusätzlich zu den finanziellen Aufwendungen für das Hamburger Modell – Beihilfeleistungen erbringen müssen.“ (vgl. Mitteilung der Landesregierung Baden-Württemberg, 2021)
- Mit Blick auf die erwartbaren Belastungen des Landeshaushalts darf nicht vernachlässigt werden, dass die GKV unter einem erheblichen Finanzdruck steht und schon heute ein Milliardendefizit aufweist. Ihre Mitglieder erwarten schon nächstes Jahr deutlich höhere Beiträge. Das strukturelle Defizit der GKV wird sich negativ im schleswig-holsteinischen Landeshaushalt widerspiegeln. Und die finanzielle Schieflage der GKV wird sich durch den demografischen Wandel noch weiter verschärfen. Anders in der PKV: Hier gibt es kein Defizit und kein Demografieproblem, denn für die steigenden Gesundheitskosten werden kapitalgedeckte Alterungsrückstellungen aufgebaut. Die steigenden Kosten der Älteren gehen – anders als in der GKV – nicht zu Lasten der Jüngeren.
- Die Beamten erhalten nicht mehr Wahlfreiheit, sondern sie wird beschnitten: Eine einmal getroffene Entscheidung ist – anders als bisher – nicht mehr revidierbar. Die Entscheidung zur pauschalen Beihilfe ist nach dem Entwurf nicht revidierbar und damit ein lebenslanger Verzicht auf individuelle Beihilfe für den Beamten und seine Familie. Dies zeigt im Übrigen, dass es bei der Einführung nicht um die Abmilderung sozialer Härtefälle im Interesse der Beamten geht. Denn es ist nicht einzusehen, dass die Entscheidung auch Fortbestand haben soll, wenn die bestimmte Familiensituation, in der die pauschale Beihilfe Entlastung bewirken soll, wegfällt. Es widerspricht auch der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, dass mit dem Gesetz dem Beamten gleich zu Beginn seiner Laufbahn, d. h. häufig in jungen Jahren, eine Verzichtsentscheidung abgefordert wird, die ihn lebenslang bindet.
- Die Einführung der pauschalen Beihilfe ist verfassungsrechtlich bedenklich. Wiederholt haben rechtliche Gutachten belegt, dass der Dienstherr seine verfassungsgemäß vorgegebene Fürsorgepflicht nicht gänzlich auf ein anderes System delegieren darf, indem er die Beihilfe durch den Arbeitgeberzuschuss unwiderruflich ablöst. Der Dienstherr geht ein hohes Prozessrisiko ein, wenn Beamten im Krankheitsfall aufgrund von Leistungseinschränkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung und den damit verbundenen selbst zu tragenden Krankheitskosten über keine ausreichende Alimentation mehr verfügen. Wie bereits vorliegende Rechtsprechung zeigt, sind dann zusätzliche Beihilfeleistungen neben der Absicherung in der GKV erforderlich oder die teure Anhebung der Besoldung.