Stellungnahme 10. Juni 2024

Der PKV-Verband lehnt die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge ab. Sollte an der Maßnahme festgehalten werden, braucht es Regelungen, damit Selbstzahler nicht benachteiligt werden.

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem Medizinforschungsgesetz soll der Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland gestärkt werden. Der PKV-Verband bewertet es positiv, dass die Rahmenbedingungen für Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert werden sollen. Auch bei beschleunigten und vereinfachten Prüfverfahren muss aber weiterhin die Patientensicherheit im Mittelpunkt stehen. 

Die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge stärkt hingegen nicht den Standort Deutschland. Die Maßnahme liefert keinen Beitrag für eine effiziente und nachhaltige Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Verdeckte Erstattungsbeträge werden auf Dauer zu höheren Herstellerabgabepreisen und damit zu Mehrausgaben führen. Zudem konterkariert die Regelung die aktuellen europäischen Bestrebungen für mehr Transparenz und in der Folge angemessenere Arzneimittelpreise. 

Besonders benachteiligt sind von den vorgesehenen Regelungen Selbstzahler, die aufgrund von Selbstbehalten und Beitragsrückerstattungen keine Arzneimittelrechnungen bei ihren privaten Krankenversicherungen und/oder Beihilfestellen einreichen. Sie zahlen die von der Industrie festgesetzten Preise, nicht die vertraulichen bzw. verhandelten und somit deutlich geringeren Erstattungsbeträge. Aufgrund von Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarifen reichen Privatversicherte nicht automatisch Rechnungen zur Erstattung ein, sondern prüfen ihre Optionen im Jahresverlauf. Reichen sie künftig keine Rechnungen ein, überzahlen sie regelmäßig und bleiben auf den Mehrkosten sitzen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass gerade diejenigen Versicherte die Kosten der Standortpolitik tragen sollen, die sich kostenbewusst verhalten und anfallende Rechnungen selbst bezahlen. 

Das derzeitige Verfahren funktioniert unproblematisch: Alle Patientinnen und Patienten erhalten erstattungsbetragsgeregelte Arzneimittel an der Apothekenkasse. Im Regelfall findet keine Nacherstattung statt. Wenn eine solche erforderlich wird, werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf alle erforderlichen Prozesse rechtssicher geregelt.

Auch der Bundesrat hatte für die Streichung der Regelung plädiert. Die Einführung der vertraulichen Erstattungsbeträge führe zu großer Intransparenz. Der hohe bürokratische und finanzielle Aufwand für den Differenzausgleich stehe in einem fraglichen Verhältnis zum Nutzen. Vor diesem Hintergrund plädiert der PKV-Verband für einen ersatzlosen Verzicht auf die Maßnahme.

II. Zu ausgewählten Regelungen des Gesetzentwurfs

Zu Art. 1 Nr. 16 - § 78 Abs. 3a AMG

Vorgeschlagene Regelungen

Entscheidet sich der Hersteller für die Option „vertraulicher Erstattungsbetrag“, wird das Arzneimittel vom Hersteller nicht mehr zum mit dem GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungsbetrag abgegeben. Außerhalb der GKV-Versorgung kann nur die juristische Person, die das Arzneimittel erworben hat, vom pharmazeutischen Unternehmer den Ausgleich der Differenz zwischen dem Erstattungsbetrag und dem tatsächlich gezahlten Abgabepreis (einschließlich der zu viel entrichteten Zuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung und der zu viel entrichteten Umsatzsteuer) verlangen. 

Bewertung 

1. Entschiedene Ablehnung der vertraulichen/verdeckten Erstattungsbeträge 

Der PKV-Verband lehnt die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge ab. Die Maßnahme führt kurzfristig zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand und mittelfristig zu erhöhten Arzneimittelausgaben bei allen Kostenträgern. Sie benachteiligt systematisch Selbstzahler und damit Versicherte, die verantwortungsvoll und kostenbewusst agieren. 

In der PKV begleichen Versicherte in der Regel ihre Kosten zunächst selbst und entscheiden nach Ermessen und ggf. zeitlicher Verzögerung, ob sie die Belege zur Kostenerstattung einreichen. Hintergrund sind die tariflichen Bedingungen: Selbstbehalte in unterschiedlicher Höhe sind in fast allen Tarifen die Regel. Hinzu kommt, dass bei sofortiger Einreichung der Rechnungen tariflich vereinbarte Beitragsrückerstattungen bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen verfallen würden. Das Selbstzahlermodell, bei dem der Patient Eigenverantwortung übernimmt, hat auch den Bundesgesetzgeber überzeugt. Davon zeugt die Einführung von Selbstbehaltstarifen in der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 53 SGB V mit dem GKV-WSG. Vertrauliche Erstattungsbeträge konterkarieren indes die Eigenvorsorge und Wahlfreiheit der Patienten und greifen unzulässig in das Vertragsverhältnis und die Tarifabschlussfreiheit der privat Versicherten und ihrer Krankenversicherer ein. 

Die vorgesehenen Regelungen benachteiligen Selbstzahler. Selbstzahler müssen zukünftig an der Apothekenkasse die künstlich hoch gehaltenen öffentlichen Preise der pharmazeutischen Industrie zahlen und nicht mehr die dann vertraulichen „echten“ Erstattungsbeträge, die nur für Kostenträger gelten. Einen Anspruch auf Ausgleich der Differenz haben sie ausdrücklich nicht. Ein solcher Anspruch war im Referentenentwurf noch vorgesehen. Der Regierungsentwurf begrenzt den Anspruch auf juristische Personen. 

Damit würden ausgerechnet diejenigen Versicherten bestraft, die einen Teil ihrer Krankheitskosten selbst tragen und so die Versichertengemeinschaft von Bürokratie und Kosten entlasten. Die geplante Regelung setzt einen Anreiz, künftig jede Arzneimittelverordnung einzureichen – mit der Folge erhöhter Leistungsausgaben insgesamt. Die ausgabenbegrenzende Wirkung von Selbstbehalt und Beitragsrückerstattungstarifen würde eingeschränkt. 

Die Folgen der Regelung für den einzelnen Versicherten sollen an einem Beispiel illustriert werden: Das Präparat Aimovig® 140 mg (PZN 14441794) wird zur Migräneprophylaxe eingesetzt. Migräne ist eine Indikation, die nicht zwangsläufig mit Komorbiditäten assoziiert ist; mithin kann nicht per se von weiteren Leistungsausgaben aufgrund der Indikation ausgegangen werden. Der Preis pro Quartalspackung hat sich von 2.027,36 Euro (06/2019) über mehrere Stufen auf 848,15 Euro (03/2023) mehr als halbiert. In diesem Fall fielen pro Jahr 8.109,44 Euro beim unverhandelten Ausgangspreis statt 3.392,60 Euro beim reduzierten Preis an. Der Selbstzahler hätte also 4.716,84 Euro zu viel gezahlt. Die einzige Chance, diese Benachteiligung zu umgehen, hätte darin bestanden, die Rechnungen einzureichen. Meint: Der Versicherte hätte zwischen erheblichen Mehrausgaben und dem Verzicht auf Beitragsrückerstattung wählen müssen. 

Tarifliche Selbstbehalte und Beitragsrückerstattungen gehören zu den Wesensmerkmalen der privaten Krankenvollversicherung. Fast jeder (98 Prozent) Vollversicherte (ohne Beihilfe) hat einen tariflichen Selbstbehalt vereinbart. Neben prozentualen Selbstbehalten (vom erstattungsfähigen Rechnungsbetrag wird ein prozentualer Anteil erstattet) gibt es auch absolute Selbstbehalte. Bei diesen werden erstattungsfähige Rechnungsbeträge erst nach Überschreiten dieser Grenze erstattet. In vielen PKV-Tarifen sind Kombinationen beider Arten vorhanden. 

Selbstbehalte dienen zuvorderst dem Zweck, die individuelle Prämienbelastung zu senken. Sofern der Patient aber davon ausgehen muss, dass er ggf. – wie im vorbezeichneten Beispiel des Migränepräparats Aimovig® – fast 5.000,- EUR mehr zahlt als er eigentlich zahlen müsste, wird die mit dem Selbstbehaltstarif bezweckte Prämienentlastung in ihr Gegenteil verkehrt. Akzeptanz und Attraktivität der Selbstbehaltstarife werden schwinden. Sie verlieren ihren Sinn und Zweck. Mehr noch: Die vertraulichen Erstattungsbeträge verstoßen ggf. gegen geltendes Recht: § 193 Abs. 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz sieht einen maximalen Selbstbehalt von 5.000,- EUR vor. Ein höherer Selbstbehalt ist rechtswidrig und widerspricht der Pflicht zur Versicherung. Einen solch hohen „Selbstbehalt“ würde der arglose Versicherte am Beispiel des Präparates Aimovig® jedoch zum Vorteil des pharmazeutischen Unternehmens leisten, ohne dass er etwas davon hätte. Eine der Grundideen des AMNOG – die Sicherung eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes für privat Versicherte und Beihilfeberechtigte – wird durch die Option der „vertraulichen Erstattungsbeträge“ unterlaufen.  

Zusätzlich zum Selbstbehalt tragen Beitragsrückerstattungen zu einer kostenbewussten Leistungsinanspruchnahme bei. Beitragsrückerstattungen liegen in der Regel beim ein- bis dreifachen des Monatsbeitrags. Dieser sehr starke, zusätzliche finanzielle Anreiz führt dazu, dass viele Personen auch dann keine Rechnung einreichen, wenn sie die Selbstbehaltsgrenze ihres Tarifs erreicht haben. In manchen Versichertenkollektiven können 50 Prozent und mehr leistungsfrei sein.               

Vor diesem Hintergrund plädieren wir – wie auch die Gesetzliche Krankenversicherung und andere – dafür, auf die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge ersatzlos zu verzichten. 

2. Ausgestaltung der Regelungsmaterie nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  

Sollte die Regelung gleichwohl beibehalten werden, bedarf es zwingend eines Verfahrens, damit Selbstzahler nicht benachteiligt werden. Dies könnte die Einschränkung des Anwendungsbereiches der Option sein, sich für vertrauliche Erstattungsbeträge entscheiden zu können.

Der Anwendungsbereich der Option für vertrauliche Erstattungsbeträge könnte so eingegrenzt werden, dass aufgrund der Höhe der Jahrestherapiekosten typisierend davon ausgegangen werden kann, dass Versicherungsleistungen (Beihilfeleistungen) in Anspruch genommen werden. Dann findet das bereits bestehende ZESAR-Verfahren zwischen Kostenträger und Hersteller statt. Der Selbstzahler erhält eine Erstattung aller Aufwendungen, die er tatsächlich hatte. 

Vorgeschlagen wird konkret, dass Arzneimittel bis zu einer definierten Obergrenze der Jahrestherapiekosten nicht der Vertraulichkeit unterliegen; der Versicherte hätte Transparenz über den Preis und könnte, wie bisher auch, eine informierte Entscheidung über die Einreichung seiner Rechnung zur Kostenerstattung treffen. 

3. Hilfsweise: Flankierende Regelungen zum Schutz von Versicherten mit Selbstbehalten 

Sollte dieses Modell nicht umgesetzt werden können, sollte vorgesehen werden, dass der Versicherte bereits an der Apothekenkasse die Information erhält, ob für ein Arzneimittel ein vertraulicher Erstattungsbetrag vorliegt. Der Versicherte kann dann bei Vorliegen eines vertraulichen Erstattungsbetrages entscheiden, ob er den Beleg ausschließlich zur Auszahlung oder Verrechnung des Differenzbetrages zwischen dem vertraulichen und dem tatsächlichen Erstattungsbetrag bei seinem Versicherungsunternehmen einreicht oder ob er eine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen will und Aufwendungserstattung verlangen will. Die Versicherungsunternehmen würden dementsprechend zwei Prozesse hausintern anlegen. Der Einzug der Preisdifferenz zwischen dem echten und dem niedrigeren vertraulichen Erstattungsbetrag könnte dann über die nach dem Arzneimittelrabattgesetz errichteten Zentrale Stelle zum Einzug von Rabatten (ZESAR) erfolgen. 

Zu Art. 5 - § 1a AMRabG

Vorgeschlagene Regelungen

Es wird klargestellt, dass der Ausgleich der Preisdifferenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Abgabepreis und dem geltenden Erstattungsbetrag auch die zu viel entrichteten Zuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung und die zu viel entrichtete Umsatzsteuer umfasst. Art. 5 Nr. 3 regelt, dass ZESAR den vereinbarten oder festgelegten Erstattungsbetrag unverzüglich an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung und die Träger der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften übermittelt, der ihr durch den Hersteller zuvor übermittelt wurde.

Bewertung 

Die vorgeschlagenen Klarstellungen sind zu begrüßen. Sie ermöglichen es, die bei Nacherstattungen gem. geltendem Recht entstehenden, zu viel entrichteten Zuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung und die zu viel entrichtete Umsatzsteuer rechtssicher geltend zu machen. 

Die Regelung in Artikel 5 Nr. 3 ist verbunden mit der vorgesehenen Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge. Mit den neu zu etablierenden Meldewegen geht ein hoher bürokratischer Aufwand einher. Auch vor diesem Hintergrund wird für die Streichung der vertraulichen Erstattungsbeträge und mithin für die Streichung der damit neu zu etablierenden Meldewege plädiert.