V. Weitere Anmerkungen
1. Zur Übergangsregelung – Rechtsunsicherheiten bleiben dauerhaft bestehen
Positiv zu bewerten ist die zwischenzeitliche Ergänzung des § 12 Abs. 3 VersStG-E. Dieser regelt nunmehr, dass für Versicherungsverträge, die vor dem 1. Juli 2021 geschlossen worden sind, noch die bisherige Fassung des § 4 Nr. 5 VersStG einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung des BFH Anwendung findet. Hierdurch sollen Bestandsverträge ausdrücklich von der Änderung der Besteuerungsvorschriften unberührt bleiben. Klarstellend ist hierzu anzumerken, dass eine Erfassung auch von Altverträgen von den Neuregelungen – wie ursprünglich angedacht – einen exponentiell größeren Umsetzungsaufwand ausgelöst hätte; die rechtlichen und tatsächlichen Hürden für eine Anpassung der bestehenden Bedingungswerke und Versicherungsverträge wären überdies kaum zu überwinden. Zudem wird das Ziel des BMF, durch die Reform für umfassende Rechtssicherheit – welche unseres Erachtens bereits besteht – zu sorgen, erst bei Abwicklung der Bestandsverträge, also bei deren Beendigung (i. d. R. Tod des Versicherten), erreicht werden können.
Ungeachtet dessen werfen die Übergangsregelung neue Fragestellungen auf. Als „Vertragsschluss“ i. S. d. Übergangsvorschrift soll „jede erstmalige Absicherung eines bestimmten Risikos der Risikoperson durch den Versicherer“ gelten, § 12 Abs. 3 S. 3 VersStG-E; bei Gruppenversicherungen soll dies nach Satz 4 mit Wirksamwerden ihrer Aufnahme in den Gruppenversicherungsvertrag der Fall sein. Nach der Gesetzesbegründung stellen Änderungen eines bestehenden Vertrages wie z. B. Prämienerhöhungen, Leistungserweiterungen, AVB-Änderungen und Vertragsübernahmen – anders als bspw. ein Austausch des versicherten Risikos oder die Erweiterung des Versicherungsvertrages auf andere Risiken – keinen neuen Vertragsschluss im Sinne dieser Vorschrift dar. Beispielsweise bei der praktisch bedeutsamen Erhöhung des Krankentagegeld-Schutzes, der Hinzunahme von Wahlleistungen, bei Auslandsabsicherungen oder auch beim Wechsel in einen höheren Versicherungsschutz erscheint die Einordnung fraglich. Auch dbzgl. sind eine Vielzahl von Abgrenzungsfragen vorprogrammiert.
Zudem widersprechen die Übergangsregelungen, die an den Vertragsabschluss anknüpfen, dem Kalkulationsmodell der Privaten Krankenversicherung und dem grundsätzlichen Anliegen einer übersichtlichen Tariflandschaft. Tarife werden über Jahrzehnte unverändert geführt, um möglichst geringe Verwaltungskosten und große, ausgewogene Kollektive zu bilden. Voraussetzung für das Vorliegen eines Tarifs sind identische Versicherungsbedingungen für alle Versicherten dieses Tarifs. Die vorgeschlagene Übergangsregel zwingt die PKV-Unternehmen dazu, neue Tarife aufzulegen, da Altverträge unverändert fortgeführt werden. Hierdurch entsteht nicht zuletzt auch das Risiko einer Überalterung von Tarifen.
Weiterhin stellen sich bereits jetzt praktische Fragen, wie das Tatbestandsmerkmal des „Vertragsschlusses“ zu verstehen ist. Als Auslegungsvarianten kommen der formelle, der materielle oder der technische Versicherungsbeginn in Betracht. Deren Zeitpunkte können in der praktischen Vertragsabwicklung durchaus nennenswert voneinander abweichen.
2. Klarstellung: Krankheit „auch wegen Unfall“
Der Entwurf greift ein tatsächlich in der Praxis diskutiertes Problem der Rechtsanwendung nicht auf. Die Private Krankenversicherung erstattet nach den aufsichtsrechtlichen und den versicherungsvertragsrechtlichen Vorschriften Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfall. Zu den Leistungen gehören auch Tagegelder, mit denen entweder der Verdienstausfall oder der erhöhte Aufwand während der Krankenbehandlung, finanziert werden können. Um auch Personen mit Vorerkrankungen entsprechende Produkte anbieten zu könne, werden diese Tagegelder in der Praxis auch isoliert für den Fall angeboten, dass die Krankenbehandlung eine Unfallfolge ist – sog. Unfallkrankentagegeld. Die Beschränkung ermöglicht es, dass diese Form der Versicherung auch Personen zur Verfügung steht, die bereits über wesentliche Vorerkrankungen verfügen und bei denen daher ein Tagegeld für jede Form der Krankenbehandlung nicht mehr gewährleistet werden kann.
Es sollte daher klargestellt werden, dass auch Krankenversicherungen, die Tagegelder ausschließlich wegen einer unfallbedingten Krankenbehandlung leisten, unter den Befreiungstatbestand fallen.
3. Klarstellung: Assistance- und sonstige Nebenleistungen; „Infektionsrisiko“
Ein weiterer unberücksichtigter Aspekt sind sog. Assistance- und sonstige Nebenleistungen. Versicherer bieten ihren Versicherten im Zusammenhang mit Kranken- und Pflegeversicherungsverträgen vielfältige, gegenüber der Hauptleistung minimale Zusatzservices (z. B. Assistance-Leistung, Beratungsleistungen vor Eintritt des Versicherungsfalls, Telefonhotlines) im Zusammenhang mit (noch nicht eingetretenen Fällen der) Krankheit und Pflegebedürftigkeit an. Diese sinnvollen und hilfreichen Ergänzungs- und Nebenleistungen können dazu führen, dass der gesamte Beitrag unsachgemäß versicherungsteuerpflichtig wird („Infektionsrisiko“).
Es ist zwar davon auszugehen, dass diese Assistance- und sonstige Nebenleistungen bereits auf der bisherigen Rechtslage unter den Befreiungstatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 5 VersStG fallen (Leistungen „im Fall“ der Krankheit oder Pflegebedürftigkeit). Im Rahmen der Modernisierung der versicherungsteuerlichen Vorschriften erscheint insoweit jedoch eine Klarstellung sinnvoll.
„Infektionsrisiko“ besteht auch im Hinblick auf verbreitete Kombiprodukte (z. B. Krankenversicherungen mit ergänzenden Unfallschutzkomponenten). Um hier nicht eine kleinteilige, extrem verwaltungsaufwändige (die Bestandssysteme der Versicherer wäre völlig neu zu konzipieren) steuerliche Differenzierung zwischen den einzelnen Produktkomponenten vornehmen zu müssen, sollte sich insoweit die steuerliche Behandlung an der Hauptkomponente orientieren.
4. Steuerliche Haftungsrisiken der Versicherungsunternehmen
Die Versicherungsunternehmen sind zukünftig als Steuerentrichtungsschuldner für die zutreffende Abführung der Versicherungsteuer verantwortlich. Sie sind insoweit maßgeblich auf die Mitwirkung der Versicherten angewiesen. § 4 VerStDV-E sieht dafür einen „Informationsanspruch“ für die Versicherer vor. Kommen Versicherte einem Auskunftsverlagen jedoch nicht nach, entstehen Haftungsrisiken für die Versicherer. Darüber hinaus dürfte eine ggf. „zwangsweise“ Durchsetzung dieses Informationsanspruches durch die Versicherer das Verhältnis zum Versicherungsnehmer nachhaltig belasten.
Das Informationsbedürfnis des Steuerentrichtungsschuldners sollte daher als Pflicht des Versicherungsnehmers (Bringschuld) ausgestaltet werden. In jedem Fall sollte eine Haftung für fehlerhafte Steuerabführungen ausgeschlossen sein, wenn diese aufgrund nicht erfolgter oder unzureichender Informationen des Versicherungsnehmers beruhen.
5. Zu kurze Umsetzungsfrist
Um den Versicherungsunternehmen die rechtzeitige Anpassung der Vertragsformulare und Bedingungen zu ermöglichen, soll die Neufassung des § 4 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 VersStG-E erstmals auf Versicherungsverträge anzuwenden sein, die nach dem 30. Juni 2021 geschlossen werden.
Allerdings ist bereits jetzt absehbar, dass die Umsetzung eine deutlich längere Vorlaufzeit erfordert. Viele Krankenversicherungsunternehmen werden erstmals Versicherungsteuer in Ihren Prozessen und IT-Systemen abbilden müssen, wodurch umfassende Neukonzeptionierungen und entsprechende Umsetzungsmaßnahmen erforderlich werden. Zur Unterstützung eingesetzte externe Dienstleister werden von der gesamten Branche gleichzeitig angefragt. Auch die unübliche unterjährige Änderung der Vertragsmuster und Antragsformulare erfordert nicht zuletzt aufgrund der (gesetzlichen) Abstimmungserfordernisse einen nennenswerten Vorlauf.
Eine Verschiebung des Abgrenzungszeitpunktes unter § 12 Abs. 3 VersStG-E frühestens auf den 1. Januar 2021 ist notwendig und erforderlich, um die rechtzeitige und funktionsfähige Umsetzung sicherstellen zu können.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass ab 2022 Steuererklärung bzw. -anmeldung nur noch auf dem elektronischen Weg zulässig sein sollen (§ 8 Abs. 1 VersStG-E). Auch dies würde von den Versicherern im Rahmen der Neukonzeption der Systeme bereits mit angelegt und sollte bei der Festlegung des Umsetzungszeitpunktes mitberücksichtig werden.
6. Weitere Themen
Die Formulierung des § 1 Abs. 6 S. 2 VersStDV-E ist zu eng. Die Formulierung „Dies ist der Fall, wenn…“ stellt bezüglich der folgenden Aufzählung eine abschließende Regelung dar, welche neue oder kombinierte Produkte, die nicht konkret in den Ziffern 1 bis 6 vorgesehenen sind, von der Versicherungsteuerfreiheit ausschließen, auch wenn Sie dem gesetzlichen Zweck des § 4 Abs. 1 Nr. 5 VersStG-E entsprechen. Die Fallbeschreibung unter § 1 Abs. 6 S. 2 VersStDV sollte daher als beispielhafte Aufzählung ausgestaltet werden, bspw. durch die Einfügung des Wortes “…insbesondere …“).
§ 1 Abs. 6 S. 2 Nr. 5 VersStDV-E sieht vor, dass Versicherungsteuerfreiheit auch dann gegeben sein soll, wenn die Risikoperson eine vom Versicherer finanzierte Naturalleistung erhalten soll. Hier fehlt zunächst die Einbeziehung der Angehörigen, für welche die gleichen Voraussetzungen gelten sollten. Zudem fehlt es an einer hinreichenden, die Praxis berücksichtigenden Definition für „Naturalleistung“. Branchenübliche Vereinbarungen sehen z. T. originäre Service- oder Assistance-Leistungen unmittelbar durch den Versicherer an die Risikoperson oder deren Angehörige vor (z. B. Beratungsleistungen zu Möglichkeiten der medizinischen REHA, 24-Stunden-Hotline). Dies sollte klarstellend durch die Ergänzung der Worte „…oder erbrachte…“ nach „… vom Versicherer finanzierte…“ abgebildet werden.
Auch § 1 Abs. 6 S. 2 Nr. 6 VersStDV-E, welcher Versicherungsleistungen, die in der Anleitung einer Person oder in der Finanzierung einer Anleitung einer Person zur Erbringung von Naturalleistungen gegenüber der Risikoperson bestehen, von der Steuerpflicht ausnimmt, lässt die Versicherungspraxis außer Acht. Nicht erfasst sind bspw. branchenübliche Assistance-Leistungen, die nicht zwingend in die eigentliche Naturalleistung (i. d. R. wohl Pflege) durch die Pflegeperson münden. Dies sind bspw. Beratungen über Pflegeeinrichtungen, Informationen zur Prävention, zum Fahrzeugumbau, zum Wohnumfeld, Wäscheservice, Gartenpflege. Die Nr. 6 des § 1 Abs. 6 S. 2 VersStDV-E sollte daher wie folgt formuliert werden:
„6. die Versicherungsleistung
- in der Anleitung,
- in der Finanzierung oder
- in der Beratung
einer Person zur Erbringung von Naturalleistungen besteht. Gleiches gilt für Versicherungsleistungen, die in der Vermittlung derartiger Naturalleistungen oder in sonstigen Leistungen besteht, die Naturalleistungen gegenüber der Risikoperson zum Inhalt haben.“.