Position

Je deutlicher sich die Finanzierungsprobleme der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme zeigen, desto öfter werden Forderungen nach einem Einheitssystem laut. Das hätte gravierende Nachteile. Nicht nur für das Gesundheitssystem, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Angesichts der schwierigen Finanzlage von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und sozialer Pflegeversicherung (SPV) ertönt erneut der Ruf nach Einbeziehung der Privatversicherten zur Finanzierung der GKV und SPV. So hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz bereits aus der Deckung gewagt und Anfang Dezember 2024 auf dem Wahlkonferenz-Parteitag der SPD erklärt: „Wir brauchen endlich einen solidarischen finanziellen Ausgleich zwischen der privaten und der gesetzlichen Pflegeversicherung.“ 

Doch ein solcher Finanzausgleich wäre nichts anderes als ein Schritt hin zu einer Bürgerversicherung – also eines umlagefinanzierten Einheitssystems inklusive Abschaffung der kapitalgedeckten Privaten Krankenversicherung. Diesem Konzept hängen SPD und Grüne schon seit vielen Jahren nach. Zwar ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass es sich nicht mit einem Schlag umsetzten lässt. Dennoch werden die Befürworter der Bürgerversicherung nicht müde, zumindest Elemente immer wieder zu fordern und teilweise umzusetzen. Der Finanzausgleich wäre ein solches Element, ebenso wie die pauschale Beihilfe im Bereich der Beamten oder eine außerordentliche Anhebung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung.

Doch jeder Schritt hin zu einer Einheitsversicherung ist auch eine Einschränkung des Wettbewerbs und würde unser leistungsstarkes Gesundheitssystem weit zurückwerfen. Schaden nehmen würde die gesamte Gesellschaft.

Was ist eine Bürgerversicherung?

Der Begriff Bürgerversicherung bezeichnet ein Einheitssystem in der Krankenversicherung. In einem solchen Modell hätten die Menschen in Deutschland keine Wahl mehr zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Der Systemwettbewerb wäre abgeschafft.

Verschärfung des Demografie-Problems

Im Umlagesystem der GKV finanzieren die Erwerbstätigen die Versorgung der Rentner mit. Da jedoch immer weniger Junge immer mehr Älteren gegenüberstehen, stößt dieses System längst an seine Grenzen. Die PKV hingegen stellt mit ihrem Aufbau von Alterungsrückstellungen sicher, dass jede Generation von Versicherten selbst Vorsorge für ihre im Alter steigenden Gesundheitskosten trifft. Kapitaldeckung bedeutet damit immer auch Generationengerechtigkeit. Dennoch wollen einige Parteien mit der Abschaffung der PKV die Finanzierung des Gesundheitssystems vollständig auf das nicht generationengerechte Umlageverfahren umstellen.

Es ist ein Irrglaube, dass sich mit der Einbeziehung der Privatversicherten in die umlagefinanzierten Systeme die Finanznot von SPV und GKV auch nur ansatzweisen bewältigen ließen: 10 Prozent der Versicherten können schlicht nicht das Grundproblem von 90 Prozent lösen. Die PKV ist mit ihrer kapitalgedeckten Finanzierung weniger demografie- und konjunkturanfällig und wirkt so als Stabilisator im Gesundheitssystem. Im demografischen Wandel müsste also auf mehr anstatt auf weniger Kapitaldeckung gesetzt werden. Die Existenz der Privaten Krankenversicherung ermöglicht es der Politik, im demografischen Wandel jederzeit ohne Systembrüche das Verhältnis von Umlage und Kapitaldeckung neu auszutarieren. Wer das kapitalgedeckte System hingegen abschaffen will, um kurzfristig Löcher zu stopfen, weitet das Demografie-Problem auf 100 Prozent der Bevölkerung aus und beraubt sich jedes nachhaltigen Lösungsansatzes. 

Jedes Jahr 12 Mrd. Euro weniger für das Gesundheitssystem

Privatversicherte tragen mit ihren Honoraren überproportional zur Finanzierung der medizinischen Infrastruktur bei. Durch die Einführung einer Bürgerversicherung würden dem gesamten Versorgungssystem gewaltige Summen fehlen. Insgesamt würde das Gesundheitssystem jedes Jahr 12,33 Milliarden Euro einbüßen. Diese Finanzmittel ermöglichen es zum Beispiel Ärzten und Krankenhäusern, in moderne Geräte und mehr Personal zu investieren. Das kommt allen zugute, privat und gesetzlich Versicherten. Arztpraxen wären besonders betroffen: Allein dem ambulanten Sektor gingen 6,95 Milliarden Euro verloren. Umgerechnet hätte damit jede/r niedergelassene Ärztin beziehungsweise Arzt im Schnitt fast 63.000 Euro pro Jahr weniger.  Auch Hebammen oder Physiotherapeuten wären durch eine Bürgerversicherung in ihrer Existenz gefährdet.

Würden diese sogenannten Mehrumsätze der Privatversicherten wegbrechen, würde das medizinische Versorgungsniveau massiv leiden. Um dies zu verhindern, müssten gesetzlich Versicherte deutlich mehr bezahlen als heute. Deshalb erklären selbst SPD und Grüne, dass diese Mittel der medizinischen Infrastruktur nicht entzogen werden dürfen. Eine Kompensation – die zu Beitragserhöhung für gesetzlich krankenversicherte Menschen führt - sei unabdingbar. Unter Berücksichtigung der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) veröffentlichten GKV-Statistik (2023: 1 GKV-Beitragssatzpunkt = 17 Milliarden Euro) müsste sich in diesem Fall der Beitragssatz in der GKV um mindestens 0,7 Prozentpunkte erhöhen. 

Weniger Geld für Landärzte

Regionaldaten belegen die Bedeutung der Privatversicherten für die medizinische Versorgung gerade im ländlichen Raum. Denn hier fallen deren Honorare besonders ins Gewicht. Ein Beispiel aus Thüringen: Niedergelassene Ärzte im ländlichen Kreis Kyffhäuser erzielen mit ihren Privatversicherten Mehreinnahmen im Realwert von durchschnittlich über 50.872 Euro pro Jahr – viel mehr als Praxen im Großraum Jena mit rund 28.895 Euro. Die PKV-Regionalatlanten weisen dieses Phänomen für zahlreiche Regionen in mehreren Bundesländern nach. Wer das duale System in Frage stellt und durch eine Bürgerversicherung ersetzten möchte, gefährdet also die flächendeckende medizinische Versorgung gerade auf dem Land.

Zu den PKV-Regionalatlanten für die einzelnen Bundesländer

Schlechtere Versorgung

Der große Vorteil des deutschen Gesundheitssystems ist, dass privat und gesetzlich Versicherte trotz unterschiedlicher Finanzierungssysteme den gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Anders als in den einheitlichen Versicherungssystemen im Ausland mit ihren ausgeprägten parallelen Versorgungsstrukturen werden in Deutschland alle Versicherten grundsätzlich von denselben Ärzten und Krankenhäusern versorgt. 

Ein Indiz für die eine gute Versorgung sind die im internationalen Vergleich kurzen Wartezeiten. Eine Studie des Commonwealth Fonds aus dem Jahr 2023 zufolge steht Deutschland hier sehr gut da: Im Jahr 2023 hat ca. jeder zweite Patient am selben oder nächsten Tag einen Termin beim Arzt erhalten. Daten des European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) zeigen zudem, dass nur 0,1 Prozent der Befragten in Deutschland ihren ärztlichen Versorgungsbedarf aufgrund von langen Wartezeiten nicht gedeckt sehen – ein absoluter Spitzenwert in Europa. Das Schlusslicht bildet übrigens das für sein Einheitssystem bekannte Großbritannien.

Die vergleichsweise kurzen Wartezeiten in Deutschland wissen die Patientinnen und Patienten in Deutschland zu schätzen. So zeigt die Versichertenbefragung des GKV-Spitzenverbandes, dass die Wartezeiten auf einen Hausarzt-Termin für 88 Prozent der Befragten genau ihren Wünschen entsprechen oder zumindest akzeptabel sind. Auch bei Fachärzten ist die Mehrheit mit den Wartezeiten demnach zufrieden.

Bildung einer „Zwei-Klassen-Medizin“

Der Wettbewerb zwischen PKV und GKV ist ein Korrektiv gegen Leistungskürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ohne Konkurrenz – also in einem Einheitssystem – ist es leichter, die Beiträge die Versicherten anzuheben und die Leistungen zu reduzieren. Denn wenn es keine Alternative gibt, können die Versicherten nicht mehr in das bessere System des Wettbewerbers wechseln. Unter dem Strich käme es zu einem schlechteren Preis-Leistungs-Verhältnis. Ein Blick in andere Länder – gerade mit Einheitssystemen – zeigt: Nirgendwo gibt es eine so ausgeprägte Zwei-Klassen-Medizin wie in Staaten, die formal ein einheitliches Versorgungssystem haben. Häufig bildet sich dort wegen spürbarer Rationierungen ein Parallel-Markt, in dem bessere medizinische Leistungen über Zusatzversicherungen abgedeckt oder direkt selbst bezahlt werden. In einem solchen Gesundheitswesen würde die Qualität der Versorgung direkt vom Geldbeutel abhängen. Mit seinem dualen Krankenversicherungssystem vermeidet Deutschland Rationierung und „Zwei-Klassen-Medizin“ damit erfolgreicher als jedes andere Land der Welt.

Ausbremsen des medizinischen Fortschritts

Durch das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung kommen neue Behandlungs- und Diagnosemöglichkeiten schneller ins gemeinsame Versorgungssystem. Das liegt an der Rolle der PKV als Innovationsmotor: Ärztinnen und Ärzten können bei Privatversicherten jederzeit innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anwenden, sofern medizinische Notwendigkeit vorliegt. Langwierige Genehmigungsprozesse gibt es in der Privaten Krankenversicherung nicht. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden schneller auch in der Regelversorgung der gesetzlich Versicherten ankommen. Im Gegenzug stärkt die GKV mit ihren großen Datenmengen die Qualitätssicherung für alle. Im Ergebnis profitieren die Menschen in Deutschland schneller zum Beispiel von neuen Krebsmedikamenten als der Rest Europas.

Dass medizinische Innovationen in der ambulanten Versorgung von der PKV teilweise deutlich früher als in der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden, bestätigt die Studie eines Teams um den renommierten Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Jürgen Wasem. Ein Beispiel: Für eine spezielle Stoßwellentherapie bei Fersenschmerzen lag die Genehmigung für die Erstattung durch die GKV im Jahr 2019 vor. Erste PKV-Unternehmen erstatteten die Kosten für diese Behandlungsmethode aber bereits im Jahr 2002. Die schnellere Erstattung durch die PKV erhöht wiederum die Begründungspflicht, solange die jeweiligen Methoden nicht Teil der Regelversorgung sind. Der Systemwettbewerb stärkt damit die innovative Versorgung aller Patienten.

Die PKV begünstigt die Einführung medizinischer Innovationen noch aus einem anderen Grund. Denn die Entscheidung, ob Arztpraxen in neue Diagnose- und Behandlungsmethoden investieren, hängt entscheidend davon ab, nach wie vielen Monaten oder Jahren sich die Anschaffung wirtschaftlich rechnet. Weil die PKV die Behandlungskosten für Privatversicherte ohne Budgetierungen und oft zu höheren Honoraren erstattet, beeinflusst sie auch diese Refinanzierungsdauer positiv. Das zeigt eine Analyse des Datendienstleisters Rebmann Research. Ein Beispiel aus der Augenheilkunde: Eine Investition in die optische Kohärenztomografie (OCT) zur Diagnostik und Therapiesteuerung bei Netzhauterkrankungen ist im heutigen dualen Gesundheitssystem nach 1,8 Jahren refinanziert. Bei einem einheitlichen Vergütungsrahmen nach GKV-Regeln dauerte es dagegen 5,4 Jahre. 

In einer Bürgerversicherung oder einem einheitlichen Vergütungssystem würden diese Systemvorteile wegfallen. Das Fazit: Ohne PKV würde es manch moderne Therapie nicht geben

Bürgerversicherung belastet die Mittelschicht und Rentner

Im Konzept von Grünen, SPD und Linken würden Beiträge nicht nur auf Löhne und Gehälter, sondern auch auf Spar- und teilweise sogar Mieteinkünfte anfallen. Besonders betroffen wären Mittelschicht, Rentnerinnen und Rentner sowie andere Kleinsparer. Sie müssten erheblich höhere Beiträge abführen. Sie würden in einer Bürgerversicherung finanziell dafür bestraft, dass sie privat zusätzlich fürs Alter vorsorgen, wozu die Politik sie seit langem auffordert. Ihre Ersparnisse würden schlagartig um über 17 Prozent GKV-Beitrag verringert.

Lohnzusatzkosten würden explodieren

Auch eine außerordentliche Anhebung der Beitragsbemessungs- und damit der Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung wird als Element einer Angestellten-Bürgerversicherung betrachtet. Das bedeutet, dass alle Versicherten im Jahr 2025 ihre Beiträge auf jährlich 96.600 Euro statt wie bisher auf 66.150 Euro zahlen müssten. Für sie würde es also deutlich teurer. Gleichzeitig würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland massiven Schaden nehmen. Denn die Arbeitgeber sind an den Sozialabgaben beteiligt. Eine Erhöhung der Beitragsbemessung würde die Lohnzusatzkosten gerade für gut qualifizierte Arbeitsplätze schlagartig erhöhen. Welch dramatische Folgen das für einzelne Unternehmen haben kann, hat die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft auf Grundlage der Daten für 2024 berechnet.

Und auch hier gilt: Solange es noch einen Wettbewerb zwischen den Versicherungssystemen gibt, lässt sich eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze politisch schwerer durchsetzen. Denn sie weckt bei den betroffenen Personen immer auch einen Anreiz, in die PKV zu wechseln. Gebe es diese Alternative nicht mehr, sind zukünftige Beitragsanhebungen sehr viel wahrscheinlicher.

Beamte in der GKV bedeuten Mehrkosten für die Steuerzahler

In einer Bürgerversicherung wollen SPD und Grüne auch Beamtinnen und Beamte gesetzlich krankenversichern. Erste Schritte in diese Richtung wurden mit der Einführung der pauschalen Beihilfe in einigen Bundesländern bereits gemacht. Doch einmal ganz davon abgesehen, dass die PKV die klassische Krankenversicherung für die Staatsbediensteten ist, würde es auch für die öffentlichen Haushalte und damit für die Steuerzahler teuer: Denn der Dienstherr muss vom ersten Tag an für den Beamten den vollen GKV-Zuschuss zahlen, während die individuelle Beihilfe nur im konkreten Krankheitsfall  leistet – was in den aktiven Jahren der Beamten deutlich weniger kostet als der GKV-Arbeitgeberbeitrag. Baden-Württembergs Landesregierung hat es jüngst berechnet: Das Land müsste dafür allein bis 2040 zusätzlich 913 Millionen Euro aufbringen. Hochgerechnet auf Deutschland dürfte die zusätzliche Steuerlast durch eine Bürgerversicherung für Beamtinnen und Beamte im zweistelligen Milliardenbereich liegen.

Fazit

Jeder Versuch, unser gut funktionierendes Gesundheitssystem mit Facetten einer Bürgerversicherung in ein Einheitssystem umzugestalten, würde nur Verlierer erzeugen. Die wachsenden Belastungen infolge der alternden Gesellschaft und die steigenden Kosten des medizinischen Fortschritts müssen bewältigt werden. Eine Bürgerversicherung bietet aber auf keine dieser Fragen eine Antwort. 

Je länger man allerdings suggeriert, die Abschaffung des Wettbewerbs zwischen GKV und PKV würde die Probleme der umlagefinanzierten Sozialversicherung lösen können, desto länger verschleppt man die Suche nach dringend benötigten und nachhaltigen Reformen.